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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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sie laut und vernehmlich die Luft ausstieß, bevor sie ihm die Hand entzog, als hätte er sie mit einem glühenden Eisen berührt. Nachdem sie ihn länger angesehen hatte, als ihr augenscheinlich lieb war, wandte sie sich von ihm ab und verschwand im Abteil.

SECHSUNDVIERZIG
    N ach Lucys Abreise tat Percy das, was er immer machte, wenn sich ein neuer Riss in seinem Leben auftat: Er arbeitete länger und erweiterte sein Unternehmen. Er baute die Papiermühle aus und gab grünes Licht für die Errichtung einer daran angeschlossenen papierverarbeitenden Fabrik auf dem Grund, den er von Mary gekauft hatte. Außerdem ließ er in der Nähe Land roden und Pläne für eine Wohnanlage für Arbeiter und deren Familien entwerfen, die bereit waren, in Riechweite der stinkenden Mühle zu leben. Das Angebot wurde begeistert angenommen; offenbar störten sich die künftigen Hausbesitzer nicht an dem Schwefelgeruch. Für sie bedeutete er eine sichere Lohntüte am Freitag, Krankengeld, Rente und bezahlten Urlaub.
    Als Gesellschaft blieben Percy Ollie und Mary sowie ein Neuzugang in ihrem Kreis, ein junger Anwalt namens Amos Hines. Amos war Ende 1945 praktisch zeitgleich mit William Tolivers Verschwinden nach Howbutker gekommen und hatte das Angebot erhalten, in die Kanzlei von Percys altem Freund und Familienanwalt Charles Waithe einzutreten. Wie sein Vater vor ihm hatte William gemerkt, dass er kein Farmer war, und sich eines Herbstmorgens mit unbekanntem Ziel davongemacht. Erst Jahre später hörte man wieder von ihm. Erneut stand Mary ohne Erben für Somerset da.
    Mit einem ironischen Lächeln fasste sie Percy gegenüber ihrer beider Versagen in einem einzigen Satz zusammen: »Wir sind schon ein Paar, was?«
    »Ja, allerdings«, pflichtete er ihr bei.
    »Lucy fehlt dir?«
    Er schürzte die Lippen und überlegte. »Ich spüre ihre Abwesenheit, aber keinen Verlust.«
    Percy investierte in einen Ölförderbetrieb und nahm deshalb an Besprechungen mit Partnern in Houston teil, deren ganzes Interesse dem Öl galt. Bei einer dieser Konferenzen lernte er Amelia Bennett kennen, ein Jahr nach Lucys Umzug nach Atlanta. Amelia, deren Mann kurz zuvor gestorben war, hatte dessen Anteile an einem Unternehmen der Petrolindustrie geerbt und kannte diese Branche, anders als Percy, in- und auswendig. Sofort kam es zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen darüber, ob es finanziell gesehen ratsam sei, im westtexanischen Permbecken nach Öl zu bohren. Percy war dafür, sie dagegen.
    »Wirklich, Mr Warwick«, sagte sie und bedachte ihn vom anderen Ende des hochglanzpolierten Konferenztischs aus mit einem verächtlichen Blick. »Wie kann ein Holzhändler eine Ahnung haben, wo man nach Öl bohrt, und sich dann auch noch anmaßen, seine Meinung dazu zu äußern? Ich finde, Sie sollten den Mund halten und diejenigen, die sich auskennen, entscheiden lassen, wo man die Bohrtürme aufstellt.«
    Percy hob eine Augenbraue. Eine Herausforderung. Seit Mary die erste.
    »Ich werde Ihre wohlmeinende Rüge im Kopf behalten, Mrs Bennett, aber erst einmal stimme ich dafür, im Dollarhide Field in West Texas nach Öl zu bohren.«
    Als sie später allein im Aufzug hinunterfuhren, erklärte sie, nachdem sie ihn eine ganze Weile intensiv gemustert hatte: »Sie sind der arroganteste Mensch, der mir je begegnet ist.«
    »Sieht wohl so aus«, pflichtete Percy ihr freundlich bei.
    Sie trug am liebsten einfache Pumps und dunkle, schmal geschnittene Röcke sowie Seidenblusen in Pastellfarben. Ihr
einziger Schmuck waren ein goldener Ehering und Perlenohrringe, die gut zu den Perlmuttknöpfen an ihrer Bluse passten. Nach nur wenigen weiteren Sitzungen genoss Percy bereits das Vergnügen, diese Knöpfe zu öffnen. »Damit du dir nichts vormachst: Du bist nach wie vor der arroganteste Pinsel, der mir je über den Weg gelaufen ist«, sagte Amelia mit glänzenden bernsteinfarbenen Augen.
    »Da möchte ich dir nicht widersprechen«, meinte Percy.
    Ihre Affäre erwies sich für beide als ausgesprochen befriedigend. Sie hatten keinerlei Interesse an einer Ehe, sondern sehnten sich nach menschlicher Nähe, gegenseitiger Achtung und Vertrauen. Sie trafen sich ganz offen, ohne sich über das mögliche Gerede der Leute Gedanken zu machen, das sowieso nicht einsetzte, weil sich die Sitten nach dem Krieg lockerten. Percy und Amelia waren ja erwachsene Menschen, wohlhabend, einflussreich, mächtig und gewöhnt, sich nicht von anderen dreinreden zu lassen. Wer wollte schon öffentlich

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