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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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in der Papiermühle und ernannte ihn zum Assistenten des Produktionsleiters, dessen Büro sich in der Unternehmenszentrale befand. Wyatt nahm diese Beförderung wie üblich schweigend hin, lauschte bei Besprechungen stoisch und machte sich in seiner behäbigen Art pflichtschuldig Notizen. Zwei Jahre lang ertrug er geduldig Percys Bemühungen, ihn als Juniorchef aufzubauen, und Lucys Überredungsversuche, sich darauf einzulassen.
    Im Dezember 1941 rettete die amerikanische Kriegserklärung an Japan wegen der Bombardierung von Pearl Harbor ihn aus dieser Lage. Schon wenige Wochen später meldete Wyatt sich, ohne seine Eltern zu konsultieren, zum U.S. Marine Corps.
    »Du musst ihn aufhalten!«, flehte Lucy ihren Mann an.
    »Und wie soll ich das machen?«, fragte Percy, der genauso verzweifelt war wie sie. In seinen Träumen hörte er nun wieder das Knattern der Gewehre, die Todes- und Schmerzensschreie und roch den Angstschweiß, und er wachte mit trockenem Mund auf. In diesen Albträumen sah er im Rauch der Kanonen nicht die Gesichter seiner gefallenen Kameraden, sondern das von Wyatt, in den im Tod weit aufgerissenen blauen Augen die Frage »Warum?«
    »Er ist fast zwanzig, Lucy, ein Mann. Ich kann ihn nicht aufhalten.«
    »Würdest du es, wenn du es könntest?«, fragte sie besorgt, nicht vorwurfsvoll. Die Zeit der sinnlosen gegenseitigen Anschuldigungen war vorbei. Sie wusste, dass er sich um Wyatt bemüht und seine Einstellung ihm gegenüber sich verändert hatte.
    »Ja, natürlich. Lieber würde ich ihn selber erschießen, als ihn ziehen zu lassen«, antwortete er, verwirrt über seine Gefühle.
    »Musstest du dich so früh zum Militär melden?«, fragte Percy Wyatt zwei Wochen später, als dieser seinen Matchsack packte. Es war Anfang Januar 1942. Wyatt hatte die Anweisung erhalten, sich innerhalb von drei Tagen bei der 1. US-Marineinfanteriedivision in Camp Pendleton in der Nähe von San Diego in Kalifornien einzufinden, wo er den ersten Abschnitt der Grundausbildung absolvieren würde. Sein Zug sollte Howbutker in einer Stunde verlassen.
    »Warum nicht?«, fragte Wyatt zurück. »Jetzt wird so schnell wie möglich jeder wehrtaugliche Mann gebraucht, um diesem Schlamassel ein Ende zu bereiten.«
    »Vielleicht hast du recht«, sagte Percy, der sich an seine eigenen Argumente, zum Militär zu gehen, erinnerte. Wyatt stopfte unterdessen eng gerollte Socken in die Segeltuchtasche.
    Es gibt keine Hölle , dachte Percy. Sie ist hier auf Erden. Was für ein schlimmeres Höllenfeuer konnte es geben, als den Sohn, den man nie richtig kennengelernt hat, in den Krieg ziehen zu sehen und nicht zu wissen, ob er wiederkommt? In seinem Herzen war an der Stelle, an der Wyatt hätte sein müssen, immer ein Vakuum gewesen, ein leerer Raum, an dem sich keine Spuren von ihm, von gemeinsamem Lachen oder vertrauten Gesprächen, fanden. Sie hatten kaum je über ihn geredet, über seine Träume, Gedanken, Überzeugungen. Plötzlich merkte Percy, dass er nie auf die Details von Wyatts Gesicht geachtet
hatte. An das von Matthew hingegen erinnerte er sich ganz genau, an seine Haartolle oder die kleine runde Narbe über der linken Braue, ein Überbleibsel der Windpocken. Wyatts Züge blieben vage und zerflossen wie die eines Antlitzes unter Wasser. Mit Sicherheit würde es Percy schwerfallen, sie in Wyatts Abwesenheit vor seinem geistigen Auge heraufzubeschwören.
    »Sohn …« Percy trat einen Schritt auf Wyatt zu.
    »Ja, Sir?«, fragte Wyatt, ohne den Blick von der Tasche zu heben.
    »Verrätst du mir vor deiner Abreise noch etwas?«
    »Sicher. Was denn?«
    »Warum hast du damals urplötzlich aufgehört, Matthew DuMont zu hassen? Wieso seid ihr so enge Freunde geworden, fast wie … Brüder?«
    Einige Sekunden verstrichen. Wyatt blieb ungerührt und gleichmütig wie immer, während er die Dinge, die ihn in den Krieg begleiten würden, eines nach dem anderen vom Bett nahm. Als er das letzte einpackte, antwortete er: »Weil er mein Bruder war , oder?«
    Percy, dem die Ohren klangen, als wäre neben ihm eine Granate explodiert, ballte die Hände in den Taschen zu Fäusten. »Wie lange … weißt du es schon?«
    Wyatt zuckte mit den Achseln, ohne ihn anzusehen. »Ich bin damals in der Hütte draufgekommen. Beinahe hättest du dich verplappert, als du mich ermahnt hast, nie wieder die Hand zu erheben gegen meinen …« Er verzog den Mund zu einem Grinsen. »Ich war mir ziemlich sicher, dass du Bruder sagen wolltest. Für einen fremden

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