Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
hatte: »Nimm, was dir gefällt, Claudia. Du wirst mich nicht enttäuschen.«
Offenbar hatte er recht gehabt. Nicht einmal ein Lampenschirm war in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren ausgetauscht worden. Lediglich das Gemälde über dem Kamin stammte nicht von ihr, sondern von Matts Vater. Soweit Matt wusste, hatte ein Kamerad von den Marines es nach seinem Tod gebracht.
»Solltest du dieses Zimmer nicht allmählich renovieren lassen, Opa?«, fragte er. »Es sieht ein bisschen abgewohnt aus.«
»Die Zeit wird mir wohl nicht mehr bleiben«, entgegnete Percy, der Amos mit einer Geste zu verstehen gab, dass er keinen Drink wollte. »Das überlasse ich dir.«
»Fang am besten damit an«, meinte Amos und nickte in Richtung des Gemäldes.
Percy verzog den Mund zu einem Lächeln. »Erkennst du denn die Aussage des Bildes nicht, Amos?«
»Offen gestanden: Nein. Sei mir nicht böse, aber ich finde es nicht so gut, dass ich es mir je genauer angeschaut hätte.«
»Dann tu das jetzt und sag mir, was du siehst.«
Amos stand auf und trat näher an das Gemälde heran. Auch Matt reckte den Hals. Worauf wollte sein Großvater hinaus?
Das Bild hing schon so lange dort, dass er es gar nicht mehr wahrnahm.
»Ich sehe einen kleinen Jungen, der auf ein Gartentor zuläuft …«, hob Amos an.
»Und was hat er in den Armen?«
»Blumen?«
»Was für welche?«
Auf Amos’ Gesicht breitete sich ein Ausdruck des Verstehens aus. »Weiße Rosen.«
»Mein Sohn Wyatt hat mir dieses Bild nach seinem Tod bringen lassen. Es ist künstlerisch nicht besonders wertvoll, das gebe ich zu, aber seine Botschaft bedeutet mir viel.«
»Was für eine Botschaft, Opa?«, fragte Matt.
»Eine Botschaft der Vergebung. Kennst du die Geschichte der Rosen, Sohn?«
»Ich glaube nicht.«
»Erzähl sie ihm, Amos.«
Als Amos sie ihm erklärt hatte, stellte Matt fest: »Mein Dad wollte dir also sagen, dass er dir verziehen hat. Wofür?«
»Dafür, dass ich ihn nicht geliebt habe.«
Matt richtete sich in seinem Sessel auf. »Was soll das heißen? Du warst doch ganz vernarrt in ihn.«
»Ja, stimmt«, bestätigte Percy, »allerdings erst viele Jahre, nachdem er das Licht der Welt erblickt hatte – und leider später, als es wichtig gewesen wäre. Weißt du, ich hatte zwei Söhne. Den einen habe ich von Anfang an geliebt, den anderen – deinen Vater – nicht.«
Matt und Amos starrten ihn mit offenem Mund an. »Zwei Söhne, Percy?«, krächzte Amos. »Was ist mit dem ersten geschehen?«
»Er ist mit sechzehn an der Grippe gestorben. Wyatt liegt neben ihm begraben. Auf meinem Nachtkästchen steht ein Foto von ihm. Mary hat es mir am Tag ihres Todes geschickt.«
»Aber … aber … das ist doch Matthew DuMont«, stotterte Matt.
»Ja, dein Namensvetter. Matthew war Marys und mein Kind.«
Schockiertes Schweigen, das durch vorsichtiges Klopfen und Percys »Herein« unterbrochen wurde. Grady, der Hausdiener, schlich auf Zehenspitzen herein wie in ein Krankenzimmer, um ein Tablett mit köstlich duftenden Vorspeisen und einem Kassettenrecorder abzustellen. Als er sich leise entfernt hatte, wandte Percy sich wieder Matt und Amos zu, die ihn noch immer wie vom Donner gerührt ansahen.
»Greift zu, bevor Savannahs Käsetaschen kalt werden«, riet Percy den beiden. »Es wird eine lange Nacht.«
»Opa«, sagte Matt. »Ich glaube, es wird wirklich Zeit, dass wir deine Geschichte hören.«
»Und ich denke, es wird Zeit, dass ich sie endlich erzähle«, meinte Percy und drückte auf den Aufnahmeknopf des Kassettenrecorders.
SIEBZIG
H annah Barweise, die auf einem Schaukelstuhl auf ihrer Veranda nicht weit von Warwick Hall und dem Haus der Tolivers saß, steckte in der Zwickmühle: Percy Warwick ging es nicht gut, und sie fragte sich, ob sie Lucy informieren solle, damit diese aufs Schlimmste vorbereitet wäre. Obwohl ihre Freundin das natürlich niemals zugegeben hätte, war es so deutlich zu sehen wie die Sommersprossen auf Doris Days Gesicht, dass sie ihren Mann noch immer liebte.
Sollte sie Lucy von den neuesten Entwicklungen erzählen, die Percy so zu schaffen machten? Angefangen hatte alles damit, dass Rachel Toliver gegen Mittag vor Marys Haus angekommen und geblieben war, bis Henry ein paar Kartons zu ihrem Wagen getragen hatte. Dann war sie weggefahren. Kurz darauf hatte Matt mit quietschenden Reifen in der Auffahrt gehalten und war ein paar Minuten später schon wieder herausgerannt, als müsste er ein Flugzeug erwischen.
Als ehemalige
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