Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
Leiterin der Historischen Gesellschaft hatte Hannah Barweise es als ihre Pflicht erachtet, Henry über den Besuch von Mary Toliver zu befragen, weil es keine Anweisungen gab, was mit Marys Habe geschehen sollte. Und da Sassie nicht da gewesen war, um ihn daran zu hindern, hatte Henry Hannah ziemlich viel erzählt. Rachel hatte nur einige alte Kladden sowie ein paar Dinge aus einem großen Koffer im Speicher einpacken lassen und sonst nichts von Marys Sachen gewollt. Hannah konnte sich gut vorstellen, was Rachel nach dem Fiasko mit dem Testament von ihrer Großtante hielt.
Außerdem hatte Hannah Henry entlockt, dass Matt Rachel zu einem Motel außerhalb von Howbutker gefolgt war. Wie gerne hätte Hannah bei diesem Treffen Mäuschen gespielt! Im Ort waren Rachel und Matt vor der Testamentseröffnung als Paar gehandelt worden. Wahrscheinlich, dachte Hannah, hat er sie aufgespürt und versucht, sie nach Hause mitzunehmen. Dass man dort einen Ehrengast erwartete, wusste Hannah aus einem Gespräch zwischen ihrer eigenen Haushälterin und Savannah, der Köchin der Warwicks.
Savannah hatte sich bitterlich bei ihrer Kollegin beklagt, dass sie so viel überflüssige Arbeit in die Vorbereitung des Essens gesteckt habe. Auch Percy sei schrecklich enttäuscht, weil Rachel nicht erschienen war. Bestimmt, dachte Hannah, hatte er geplant, sich vor Rachel zu rechtfertigen, damit sie und sein Enkel doch noch zusammenkommen konnten. Matt und Amos, beide nicht in der allerbesten Verfassung, waren bei ihm. Laut Aussage von Savannah saßen sie alle drei in Percys Arbeitszimmer und tranken Scotch, während ihr Hühnchen im Ofen verbrutzelte.
Savannah beschrieb Percy als angeschlagen; wahrscheinlich war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er sich dem Unausweichlichen beugte. Auch wenn es Lucy das Herz brach: Hannah hatte versprochen, sie über alle Neuigkeiten zu informieren. Im Fall der Fälle würde sie für Matt da sein wollen. Hannah stand von ihrem Schaukelstuhl auf und ging ins Haus, um Lucy anzurufen.
Nachdem Lucy Hannahs Schilderungen gelauscht hatte, legte sie auf und rief Betty.
»Ja, Ma’am?«
»Vergiss den Nachtisch und den Kaffee, Betty, und bring lieber den Brandy.«
»Ist irgendwas?«
»Allerdings. Mein Mann liegt im Sterben.«
»Ach, Miss Lucy!«
»Wie kann er nur?« Lucy klopfte verärgert mit ihrem Gehstock auf den Boden.
»Aber Miss Lucy!« Betty sah ihre Herrin erstaunt an. »Das kann er sicher selber nicht beeinflussen.«
»O doch! Er darf den Lebenswillen wegen dieser Frau nicht aufgeben.«
»Was für eine Frau?«
Lucy straffte die Schultern und hörte auf mit dem Klopfen. »Den Brandy, Betty, sofort.«
»Bin schon unterwegs.«
Lucy holte tief Luft. Ihr Herz schlug schneller, wie immer, wenn es um Percy ging. Einerseits fürchtete sie Hannahs Anrufe, andererseits war sie dankbar dafür. Zum Glück konnte Hannah die Puzzleteile nur sammeln und nicht zusammensetzen wie sie selbst. Aus den Informationshäppchen, die sie ihr im Lauf der Jahre hatte zukommen lassen, ergab sich für Lucy ein klares Bild der Vorgänge in Warwick Hall.
Mary brachte Percy noch aus dem Grab um das bisschen Leben, das ihm geblieben war. Die verdammte Plantage würde sich eines Tages als der Ruin der Warwicks erweisen! Wie konnte es diese Frau wagen, Somerset und den damit verbundenen Fluch Percy zu hinterlassen und ihn in eine solche Situation zu manövrieren? War ihr denn nicht klar gewesen, was für einen Keil das zwischen die Familien treiben würde? Percy hatte gehofft, dass Matt und Rachel heiraten und den Faden dort aufnehmen würden, wo er ihm und Mary entglitten war. Die einzige Chance lag nun darin, Somerset an Rachel zurückzugeben, doch das würde er mit ziemlicher Sicherheit nicht tun.
Natürlich hatte Mary, diese Hexe, von Percy erwartet, dass er ihr Vertrauen nicht missbrauchte.
Allerdings wunderte sich Lucy auch. Mary war vielleicht
stur gewesen, aber nicht irrational. Warum hatte sie die Plantage nicht mit Toliver Farms veräußert und stattdessen Percy damit belastet? Wieso hatte sie ihr Unternehmen überhaupt verkauft und das Haus der Historischen Gesellschaft hinterlassen? Warum nahm sie Rachel, die sie als Erbin aufgebaut hatte und die ihren unter so vielen Opfern bewahrten Besitz zusammenhalten sollte, nun alles?
Betty betrat das Zimmer mit einem Brandy-Schwenker und stellte ihn neben ihr ab. »Miss Lucy, Sie schauen aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen«, bemerkte sie.
»Fast, Betty … fast«,
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