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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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flüsterte Lucy, der ein erstaunlicher Gedanke durch den Kopf schoss. Mary Toliver, du schlaue alte Hexe. Jetzt ist mir klar, warum du’s getan hast. Du wolltest Rachel davor bewahren, zu werden wie du. Du hast gewusst, welchen Weg sie einschlagen würde, und hast ihr die Mittel genommen, ihr Ziel zu erreichen. Einmal im Leben war dir tatsächlich ein Mensch wichtiger als diese verdammte Plantage. Wer hätte das gedacht!
    Doch wie üblich hatte Mary sich zu spät zu einer Entscheidung durchgerungen. Von Matt wusste Lucy, dass sie wenige Stunden, nachdem sie Amos das Kodizill gebracht hatte, gestorben war, offenbar bevor sie Rachel irgendetwas hatte erklären können. Ihre guten Absichten waren kontraproduktiv gewesen. Nun hasste Rachel sie, sie und Matt gingen getrennte Wege, und Percy tat sich schwer, Marys Vermächtnis zu verdauen. Wieder einmal hatte sie es ihm gezeigt, und Rachel würde es Matt zeigen – wenn nicht jemand sie zur Vernunft brachte.
    Lucy nahm den Brandy-Schwenker in die Hand. Sie hatte es kommen sehen, schon damals, als Hannah über den ersten sommerlichen Besuch Rachels in Howbutker berichtete. Hannah, die Mary ihr Leben lang kannte, hatte das Mädchen mit den »schwarzen Hexenhaaren, den exotischen Augen,
dem Zigeunerteint und dem Kinngrübchen« als genaues Ebenbild Marys beschrieben.
    »Sie ist hübsch, stimmt’s?«, hatte Lucy gefragt.
    »Leider ja«, hatte Hannah zugeben müssen. »Sie sieht Mary, als die so alt war wie sie jetzt, verdammt ähnlich.«
    Seinerzeit war Lucy sich der Ironie des Schicksals bewusst geworden, dass die Mary-Toliver-Percy-Warwick-Saga sich eines Tages mit Matt und Rachel wiederholen könnte. Sie hatte den Atem angehalten und gebetet, es möge nicht so weit kommen. Denn wie hätte sie sich darüber freuen sollen, dass Matt die Erbin eines Throns liebte, die diesem Thron genauso verfallen war wie dessen gegenwärtige Inhaberin? Und wie könnte sie sie als seine Frau akzeptieren, wenn sie aus demselben Holz geschnitzt war wie Mary, die sie verachtete?
    Lucy hatte aufgeatmet, als die Schilderungen über ihre Begegnung bei Ollies Beerdigung eher mau ausfielen, doch als die Jahre vergingen und keiner der beiden heiratete, war sie das mulmige Gefühl nicht losgeworden, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis das Unvermeidliche geschah. Und ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich. Wenige Tage nach seinem Gespräch mit Rachel bei Marys Beisetzung rief Matt Lucy an, um ihr zu sagen, dass er die Frau fürs Leben gefunden habe.
    »Bist du dir sicher?«
    »Ja. Ich bin nie im Leben sicherer und glücklicher gewesen. Wahrscheinlich war ich überhaupt noch nicht glücklich, wenn es sich so anfühlt wie jetzt. Ich weiß, dass du Mary nicht sonderlich gut leiden konntest, aber diese Toliver wirst du mögen.«
    Lucy holte tief Luft und sagte: »Dann steck ihr den Ring an den Finger, Matt, bevor dein Großvater und ich zu alt sind zum Babysitten.«
    Schon eine Woche später war es vorbei gewesen. Wie
ihre Großtante Percy, so hatte Rachel Matt wegen dieser unseligen Plantage in die Wüste geschickt. Lucy hatte Matt die Gemeinplätze erspart, die Großmütter ihren Enkeln üblicherweise bei Liebeskummer zumuten. Sie hatte ihm nicht prophezeit, dass er über Rachel hinwegkommen würde, die Zeit alle Wunden heile und auch andere Mütter schöne Töchter hätten. Wie sein Großvater hatte er die große Liebe gefunden – und wieder verloren.
    Sie konnte nur hoffen, dass Gott ihn vor einem Fehler bewahrte, wie Percy ihn mit seiner Heirat gemacht hatte.
    Der Brandy wärmte Lucy und stimmte sie milder und trauriger. Nie zuvor hatte sie sich von ihrem früheren Zuhause und den Menschen, die sie liebte, so weit entfernt gefühlt wie jetzt. Wenn sie sich nur mit dem Mädchen treffen könnte, würde sie ihr die Flausen schon austreiben und ihr die Wahrheit flüstern! … Eine Wahrheit, die es ihr ermöglichen dürfte, Matt zu lieben und zu heiraten. Aber was ließ sich denn von ihrem goldenen Käfig in ihrem selbst gewählten Exil aus bewirken?

EINUNDSIEBZIG
    D u bist in unser Leben getreten, als unsere Geschichte bereits geschrieben war , hatte Mary gesagt. Jetzt begriff Amos, was sie meinte. Percy war mit seiner Erzählung zu Ende, und schweres Schweigen, nur durchbrochen vom sanften neunmaligen Schlagen der Uhr auf dem Kaminsims, hing über ihnen. Zwei Stunden waren vergangen, der Eiskübel stand, mit einem Film Kondenswasser bedeckt, neben der fast vollen Flasche Single Malt und dem

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