Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
Tablett mit den verbliebenen, kalt gewordenen Käsetaschen auf dem Barschränkchen.
Percy hatte über seine und Marys Vergangenheit mit der ausdruckslosen Stimme eines Angeklagten vor Gericht erzählt und nichts ausgelassen seit jenem Tag, als Mary mit sechzehn Somerset geerbt hatte. Nun wussten Amos und Matt, was sich hinter dem verblichenen Namen Matthew auf dem Grabstein verbarg, dass Lucy mehr war als eine Xanthippe, die ihren Mann in der schwierigen Zeit der Wechseljahre verlassen hatte, dass auch Wyatt mehr war als ein rebellischer Sohn, der sich geweigert hatte, die Hoffnungen und Erwartungen seines Vaters zu erfüllen, und sie wussten, warum Mary Somerset Percy vermacht hatte.
Percy schaltete den Kassettenrecorder aus, und Amos löste die Beine, die er vor Stunden übereinandergeschlagen hatte. »Das ist es also, was Mary Rachel sagen wollte?«, fragte er.
»Ja.« Percy sah seinen Enkel an, der mit geschlossenen Augen dasaß, die verschränkten Finger gegen die Lippen gepresst. »Was geht in deinem Kopf – oder besser gesagt:
deinem Herzen – vor, Matt?«, erkundigte er sich mit rauer Stimme.
»Zu viel«, antwortete Matt.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, Opa. Ich bin nur … ein bisschen traurig. Mein Vater war ein guter Mann, was?«
»Ja, der Beste.«
»Willst du dich von Lucy scheiden lassen?«
»Natürlich nicht.«
»Weißt du, sie liebt dich nach wie vor.«
»Ich weiß.«
Matt räusperte sich und bedachte seinen Großvater mit einem kurzen Salut.
Percy wandte sich an Amos. »Und du, alter Freund, was sagst du zu der Geschichte?«
Amos stand auf, nahm die Brille von der Nase, holte ein Taschentuch hervor und begann, sie ausgiebig zu putzen. »Mein Gott, wo soll ich anfangen?« Er hatte an die sinnliche, schöne Mary denken müssen und an ihr Leben nach Percy. Wie hatte sie die körperliche Abstinenz ertragen und es geschafft, Ollie treu zu bleiben? Wie hatte sie mit dem Wissen gelebt, dass Matthew gestorben war, ohne Percy je Vater nennen zu können? »Wahrscheinlich«, meinte Amos schließlich und setzte die Brille wieder auf, »beschäftigt mich am stärksten der Fluch, den Mary am letzten Tag ihres Lebens in meinem Büro erwähnt hat. Ich dachte, sie hätte den Verstand verloren, weil …« Er lächelte voller Selbstironie. »… weil ich als absolute Gründerfamilienautorität nichts von einem solchen Toliver-Fluch wusste. Dabei stand alles immer schon in Rosen , der Familiengenealogie. Ich habe allerdings den Mangel an Nachfahren niemals mit der Fortpflanzungsunfähigkeit der gerade herrschenden Tolivers in Verbindung gebracht.«
Percy stand auf und nahm ihre Gläser. Auf Amos wirkte er erfrischt, als hätte er gerade eine Generalreinigung hinter sich. »Sie waren nicht nur unfähig zur Fortpflanzung, sondern auch dazu, die Kinder am Leben zu erhalten«, korrigierte ihn Percy. »Mary hat sich gern über den Fluch lustig gemacht, bis die eigene Erfahrung sie eines Besseren belehrte.«
Amos strich sich mit der Hand übers Gesicht. »Und am Ende kam Mary zu dem Schluss, dass sie Rachel nur vor dem Schicksal der Kinderlosigkeit bewahren konnte, wenn sie alles verkaufte oder weggab, das nur im Entferntesten mit dem Erbe der Tolivers zu tun hatte.«
»Davon bin ich überzeugt.«
Matt griff in seine Jackentasche. »Ich fürchte, Marys Plan wird nicht aufgehen. Vermutlich erkennst du das hier, Opa.« Er reichte Percy Rachels Kopien und erhielt von diesem einen frischen Drink. »Wie du dir schon gedacht hast, interessiert Rachel sich gar nicht für den Grund ihres Vaters, sondern möchte ihn gegen Somerset tauschen. Du hast eine Woche Zeit, ihr deine Entscheidung mitzuteilen, danach will sie dich wegen Betrugs verklagen.«
»Mary hätte sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, dass dein Brief eines Tages wie ein Bumerang zu dir zurückkehren würde, Percy«, bemerkte Amos.
Percy setzte sich mit den Kopien in seinen Sessel und überflog sie. »Ich fürchte, doch. Deshalb wollte sie ihn ja vernichten. Wie brisant sind diese Unterlagen, Amos?«
Amos verzog das Gesicht. »Das werde ich genauer überprüfen müssen, aber auf den ersten Blick erscheinen sie mir sehr gefährlich.«
Percy richtete seine nächste Frage an Matt. »Und du glaubst, es besteht keine Chance, dass Rachel sich mit mir zusammensetzt und sich die Geschichte anhört, die ich euch gerade erzählt habe?«
»Nein. Sie ist überzeugt von ihrer Version und wünscht sich Somerset so sehr, dass sie sich die deine nicht
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