Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
viel verloren und geopfert. Ironie des Schicksals: Letztlich schuldete sie es Darla, der Plantage zum Erfolg zu verhelfen.
Warum wollte er sie immer noch heiraten? Das Bild ihrer Mutter, wie sie an den cremefarbenen, von ihr selbst gestrickten Wollstreifen von der Decke hing, würde sie nicht mehr loswerden. Trotz ihres angeschwollenen Gesichts und der heraushängenden Zunge hatte Darlas Miene unverkennbar triumphierend gewirkt, was Percy mit Sicherheit nicht entgangen war.
Mary seufzte wehmütig. Als Percy es hörte, fragte er mit leiser Stimme: »Ist ein Schatten über dein Grab gehuscht?«
»So ähnlich.«
Mary war noch nie in der Hütte gewesen, die Miles, Ollie und Percy mit zehn Jahren am Ufer des Caddo Lake gebaut hatten. Das Projekt hatte nicht nur jenen Sommer, sondern auch eine Reihe weiterer Ferien in Anspruch genommen. Mary erinnerte sich gut an Diskussionen bei Tisch darüber und an die warnenden Worte ihrer Mutter: »Miles, die Hütte sollte ein Ort sein, an dem du dich nicht anders verhältst als in deinem Zimmer zu Hause.«
Trotz ihrer erst fünf oder sechs Jahre hatte Mary diese Ermahnung für absurd gehalten, weil die Jungs die Hütte ja vermutlich bauten, um sich dort eben nicht wie zu Hause verhalten zu müssen. Für sie war sie immer ein höchst geheimer und rein männlicher Rückzugsort gewesen, wo die Jungs Alkohol tranken und Mädchen mitnahmen.
»Das also ist die berühmte Hütte«, bemerkte sie, als Percy den Wagen vor der grob behauenen Kiefernholztür abstellte. »Ich bin noch nie hier gewesen. In all den Jahren nicht.«
»Warst du neugierig darauf?«
»Nein.«
»Aha.«
Sie betraten einen sechs mal zwölf Meter großen Raum, der in einen Küchen- und Wohn- sowie einen durch einen Vorhang abgetrennten Schlafbereich mit einem Doppelbett und zwei Pritschen unterteilt war. Während Mary sich umsah, ging Percy hinaus, um »etwas Kühles« aus dem Brunnen zu holen. Mary erkannte ein ausrangiertes Sofa aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters, ein paar Stühle, die einmal im hinteren Salon der Warwicks gestanden hatten, und einen Waschtisch mit einem Spiegel französischer Herkunft, zweifellos ein Beitrag aus dem Haushalt der DuMonts. In der Hütte war es sauber und kühl. Mary hatte eine heiße, dunkle und stickige Höhle voll mit Fliegen, Mücken und weiß Gott welchem Ungeziefer vom Fluss erwartet. Doch hier drang trotz der umstehenden Bäume Licht herein, und der Deckenventilator verteilte die frische Luft, die vom See herüberwehte.
Der kleine Tisch im Küchenbereich war für zwei Personen gedeckt, einschließlich Servietten und einer Vase mit Frühlingsblumen. Das Arrangement, das Percy mit seinen kräftigen Holzfällerhänden geschaffen hatte, rührte Mary. »Warum hast du mich hierhergebracht, Percy?«, fragte sie ihn, als er mit einer im Wasser des Brunnens gekühlten Flasche Wein zurückkehrte. »Der Alkohol wird deinen Plänen nicht nützen, wie sie auch immer aussehen mögen. Und hoffentlich schnüffelt Sheriff Pitt nicht hier draußen rum und schaut in den Brunnen.«
Percy zog den Korken aus der Flasche. »Der Sheriff weiß ganz genau, wo er seine Nase nicht hineinstecken darf.«
»Soll das heißen, dass die Gesetze für die Warwicks nicht gelten?«
Sie bedauerte ihre Worte sofort, doch Percy ließ sich nicht provozieren.
»Nur solche Gesetze, bei denen ein Verstoß niemandem
schadet«, antwortete er und füllte zwei Gläser mit Sauvignon Blanc. »Setz dich, Mary. Ein Gläschen Wein bringt dich nicht um. Trink einen Schluck, während ich das Essen herrichte, und entspann dich. Dann unterhalten wir uns.«
»Das würde ich lieber gleich tun«, entgegnete Mary und nahm das Glas. »Warum willst du mich heiraten, Percy? Nach allem, was du gesehen hast?«
Er führte sie zu einem Stuhl, wo er ihr das Glas aus der Hand nahm und wegstellte und sie sanft auf den Sitz drückte. Dann rückte er einen zweiten Stuhl heran und setzte sich so darauf, dass ihre Knie sich fast berührten. »Hör mir zu, Mary«, sagte er und ergriff ihre Hände. »Du glaubst zu wissen, was ich denke, aber du täuschst dich. Du bist nicht schuld am Selbstmord deiner Mutter. Möglicherweise wäre sie noch am Leben, wenn dein Vater ein anderes Testament gemacht hätte, doch das hat er nun mal nicht. Auch das ist nicht deine Schuld.«
Erstaunt stammelte Mary: »Du gibst mir doch seit jeher die Schuld dafür, dass Papa Somerset mir hinterlassen hat. Soweit ich weiß, ist das der Grund für alle unsere
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