Die Erben
suchen.
Als sie ihre Zahnbürste, ihren MP3-Player und ein paar Kleider gefunden hatte, ging sie zur Tür und stolperte über den Wecker, den ich ihr geschenkt hatte. Wortlos hob sie ihn auf und verstaute ihn ebenfalls auf ihrem Arm.
Kafka folgte uns irritiert und wich Lyn nicht von der Seite. Wenn er gekonnt hätte, wäre er vermutlich sogar zwischen ihren Beinen gelaufen, statt daneben und als sie die Tür zum Haus aufgeschlossen hatte, rannte er hinein. Vermutlich, um sich sofort unter dem nächsten Möbelstück zu verstecken.
„Den Rest schaffe ich alleine“, wandte sich Lyn zu mir um und nahm mir die Sachen ab, die ich getragen hatte. Unsicher schaute sie mich an. „Kannst du vielleicht anrufen, wenn du zu Hause bist?“
„Okay“, stimmte ich zu und Lyn sah betreten auf den Boden.
„Okay.“ Sie nickte. „Komm gut nach Hause.“
Ich nickte und schloss leise die Tür hinter ihr.
Je näher ich zu unserem Haus kam, desto stärker schien der Sturm zu werden. Es war unheimlich, durch die leeren Straßen von Gloucester zu fahren und Mühe zu haben, das Auto auf der Fahrbahn zu halten. Als ich auf das Tor zufuhr, das zu unserem Haus führte, drückte ich die Fernbedienung und die hohen Eisenflügel schwangen zur Seite. Kaum war ich hindurch gefahren, schien der Wind mit einem mal spürbar abzunehmen. Ich schüttelte den Kopf und schob es schließlich auf die Müdigkeit.
Ich parkte den Porsche in der Garage und nachdem ich mich wie versprochen bei Lyn gemeldet hatte, ging ich durch den Seiteneingang direkt ins Haus. Es war überall dunkel, was nicht weiter verwunderlich war. Sarah saß sicher in ihrem Zimmer oder unserer Bibliothek und der Imperator war verreist.
Kaum hatte ich den Fuß auf die Treppe gesetzt, fuhr es mir eiskalt ins Mark.
Im Augenwinkel sah ich jemanden in der Dunkelheit am Fenster stehen.
„Mum“, stieß ich aus. Der Schreck ließ nicht nach. Sie war seit Jahren nicht mehr aus ihrem Bett gekommen, schon gar nicht ohne Hilfe. „Was tust du denn hier?“
Ich ging zu ihr rüber und sie schaute zu mir. Die Schatten unter ihren Augen waren dunkler geworden und ließen sie noch kränker aussehen, als sie ohnehin schon war. Sie stützte ihren abgemagerten Körper auf einen Gehstock und wandte sich irritiert zu mir.
Es kostete mich jedes Mal Mühe, nicht an die Fotos zu denken, die ich von ihr gesehen hatte. Sie hatte so gar nichts mehr mit dieser fröhlichen Frau gemeinsam, die darauf abgebildet war.
„Er will rein“, murmelte sie. „Aber er kann nicht.“
„Wer will rein?“, fragte ich sie sanft und stützte sie, um sie zurück in ihr Zimmer zu führen.
„Er kann nicht rein“, wiederholte sie und schlurfte langsam neben mir mit.
„Mach dir keine Sorgen, Mum“, beruhigte ich sie, da es keinen Sinn hatte, weiter nachzubohren. „Hier kommt keiner rein, es wird dir nichts passieren.“
Sie blieb stehen und schaute zu mir auf. Ein zartes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und ein bisschen Leben kam in ihre Augen. „Du und Sarah, ihr passt auf, ja?“
„Natürlich“, versprach ich ihr und lächelte ebenfalls, auch wenn mir keinesfalls danach war. Ihren hilflosen Körper zu stützen, ihr zuzuhören, wie sie wirres Zeug redete; Das war zu viel, um ehrlich zu lächeln.
„Dann ist gut“, flüsterte Mum und wir gingen weiter in ihr Zimmer.
Als ich sie in ihr Bett gelegt und zugedeckt hatte, rannte ich die Treppe hoch in Sarahs Zimmer.
„Mum war draußen“, stieß ich aus, als ich durch die Tür gestürmt war.
Überrascht sah Sarah vom Bett auf. Sie war umzingelt von Büchern, losem Papier, Fotografien und ihrem Laptop. Ihr Gesicht wirkte müde und abgespannt, und das schon seit Tagen.
„Sie war draußen?“, wiederholte sie ungläubig. „Hat Maggy ihr geholfen?“
Maggy war unsere Haushälterin und wohnte in einem Anbau neben unserem Haus.
Ich schüttelte den Kopf. „Sie war alleine im Dunkeln am Fenster gestanden und hat raus gesehen. Sie hat davon gesprochen, dass jemand hier rein will, aber nicht kann.“
Sarah nickte. „Ja, der Wind.“
„Was?“, warf ich verständnislos ein und Sarah stand vom Bett auf, um ans Fenster zu gehen.
„Siehst du das?“ Sie deutete auf das Tor vor unserem Haus. „Ein Baum steht an der Straße, vor dem Tor. Hinter dem Tor steht noch ein Baum. Sieh dir die Baumkronen an.“
Ich musste zwei Mal hinsehen, um zu glauben, was ich da sah.
Der Baum vor dem Tor wurde vom Sturm kräftig gerüttelt und bog sich sichtbar. Beim
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