Die Erben
ob du rüber ins Haus ziehen kannst?“
„Und mit welcher Begründung?“, entgegnete ich und blieb stehen. „Dass ich plötzlich Angst habe hier? Nach vier Monaten fällt mir auf, dass es so abgeschieden ist hier oben?“ Ich deutete Anführungszeichen an, dann stemmte ich skeptisch die Hände in die Seiten.
Thor zuckte jedoch die Achseln. „Nach der Sache mit dem falschen Gasmann würde dir das sicher keiner übel nehmen. Mum hat selbst schon ein paar Mal gemeint, dass es ihr lieber wäre, du würdest ins Haus ziehen, statt alleine hier zu bleiben.“
Ich schnaufte und warf den Kopf in den Nacken. „Mal sehen“, meinte ich schließlich und nahm das Telefon ab. „Ich überleg‘ mir was. Aber jetzt will ich einfach nur irgendwas Normales machen. Ins Kino gehen oder Burger essen. Machen das die coolen Kids ohne übersinnliche Fähigkeiten heute denn noch?“ Mit einem schiefen Grinsen sah ich Thor an, der aufgestanden war und mir schmunzelnd den Kopf tätschelte.
„Verrücktes Huhn“, meinte er dabei und ging zur Tür. „Viel Spaß. Und nimm dein Handy mit, falls etwas passiert.“
„Wenn etwas passiert, brauche ich kein Handy mehr“, murmelte ich, als sich die Tür hinter ihm schloss. „Sondern eine Irrenanstalt mit bequemen Betten.“
Ich wählte Joes Nummer und seine Mum nahm ab. Sie erklärte mir, dass er bei Ava war, also packte ich meine Sachen und schwang mich auf mein Rad, um zu ihr zu fahren.
Zwar war sie noch immer sauer auf mich, aber ihre Wut war bei Weitem nicht mehr explosiv genug, um mich fern zu halten. Joes Trick, ihre Launen einfach zu ignorieren, hatte ziemlich gut funktioniert.
Ich lehnte mein Fahrrad gegen einen Busch vor ihrem Haus und drückte die Klingel durch.
Als Ava öffnete, stand sie in einem dunkelblauen Flanellschlafanzug in der Tür.
„Lyn“, stieß sie überrascht aus und ich runzelte die Stirn.
„Hab ich dich geweckt?“, wunderte ich mich.
„Ähm, nein“, antwortete sie stotternd und zupfte verlegen an ihrem Schlafanzug herum.
Hinter ihr erschien Joe, ebenfalls in einem Pyjama. Sein Modell war grün-weiß gestreift.
Ich verzog das Gesicht. „Lasst mich raten: Es ist nicht das, wonach es aussieht?“
Verlegen lachte Joe auf, während Ava puterrot anlief.
„Wir machen das öfter Sonntags“, erklärte Joe schließlich. „Wenn Avas Dad Dienst hat, dann komme ich morgens hierher, wir frühstücken zusammen und machen einen Pyjamatag.“
„Einen Pyjamatag“, widerholte ich tonlos und zog die Augenbrauen noch ein Stückchen höher. Schließlich zuckte ich mit der Schulter. „Was soll’s? Darf ich mitmachen? Ich habe aber keinen Schlafanzug dabei.“
Joes Gesicht hellte sich auf und er stieß Ava mit der Schulter an. „Du hast doch bestimmt noch einen für Lyn, oder?“
„Sicher“, murmelte sie etwas verstört und schlurfte davon.
Joe führte mich währenddessen ins Wohnzimmer. Er und Ava hatten ein großes Frühstück auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet und es roch nach Spiegeleiern und gebratenem Speck.
Vor dem massiven Wohnzimmerschrank lagen ein Duzend DVDs wild durcheinander und der Fernseher zeigte das Standbild eines Films.
„Ihr seht ‚Der Frühstücksclub‘?“, meinte ich mit großen Augen und Joe nickte.
„Heute ist unser Motto ‚80er Jahre Filme‘“, erklärte er und senkte die Stimme. „Ohne Planung und Konzept wäre so ein DVD-Tag mit Ava einfach nicht denkbar.“
Eine Stunde später lag ich ausgebreitet auf der Couch, die zu einem Gästebett umfunktioniert werden konnte und stopfte glücklich Toasttaschen in mich hinein.
Joe saß neben mir und studierte den Text irgendeiner Gesichtsmaske, die Ava gleich ausprobieren wollte. Davor pinselte sie sich aber noch ihre Fußnägel lila an.
„Sieht der Nagellack gut aus?“, wollte sie wissen und ich löste den Blick vom Fernseher.
„Es ist November“, informierte ich sie träge. „Du hast doch sowieso Schuhe an.“
„Das war nicht die Antwort auf meine Frage“, entgegnete sie und hob ihren Fuß noch näher zu mir, bis er fast gegen meine Nase stieß.
„Ok ok, der Nagellack ist ein Traum“, versprach ich lachend. „Es ist eine Schande, dass der Mensch nicht mit lila Fußnägeln auf die Welt kommt.“
„Du bist blöd“, stellte Ava fest und unterdrückte ein Grinsen.
Sie schraubte den Lack zu und stellte ihn auf den Tisch. „Warst du gestern eigentlich beim Herbstball?“, fragte sie mich und deutete Joe, ihr die Gesichtsmaske zu geben.
„Ja, meine Eltern
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