Die Erbin
deren Kinder und meine beiden Exfrauen leer ausgehen lassen. Unser Verhält nis war alles andere als herzlich, aber sie werden kämpfen, darauf können Sie sich gefasst machen. Meine Vermögenswerte sind be trächtlich – die haben alle keine Ahnung, welche Ausmaße sie haben. Wenn das bekannt wird, werden sie die Messer wetzen. Wehren Sie sich, Mr. Brigance, bis zum bitteren Ende. Wir müssen sie besiegen.
Mein Abschiedsbrief enthält Anordnungen für meine Beisetzung. Erwähnen Sie das Testament meiner Familie gegenüber nicht, bevor die Beerdigung vorüber ist. Ich will, dass sie alle Trauerrituale durch laufen, ehe sie erfahren, dass sie nichts bekommen werden. Schauen Sie sich an, wie sie die Trauer heucheln – sie können das gut. Aus Liebe zu mir heulen sie jedenfalls nicht.
Ich bedanke mich im Voraus für Ihre engagierte Vertretung. Es wird nicht leicht werden. Ich tröste mich damit, dass ich die Quälerei nicht miterleben muss.
Hochachtungsvoll,
Seth Hubbard, 1. Oktober 1988
Jake war zu nervös, um das Testament zu lesen. Er atmete tief durch, ging durch den Raum, öffnete die Balkontüren und warf einen langen Blick auf das Gerichtsgebäude und den Platz, ehe er zum Sekretär zurückkehrte und den Brief erneut zur Hand nahm. Das Schriftstück würde als Beweis für Seth Hubbards Testierfähigkeit dienen. Einen Augenblick lang wusste Jake nicht, was er tun sollte. Unentschlossen rieb er die Handflächen an den Hosenbeinen. Sollte er die Finger von allem lassen und sofort Ozzie holen? Sollte er einen Richter anrufen?
Nein. Der Brief war an ihn adressiert und vertraulich, und er hatte das Recht, ihn zu lesen. Trotzdem fühlte er sich, als würde eine tickende Zeitbombe vor ihm liegen. Als er mit klopfendem Herzen und bebenden Händen auf die Zeilen in blauer Tinte sah, wurde ihm klar, dass ihn diese Worte ein oder auch zwei Jahre seines Lebens kosten würden.
Letzter Wille und Testament
von Henry Seth Hubbard
Ich, Seth Hubbard, 71 Jahre alt, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, jedoch von nachlassender Gesundheit, tue hiermit meinen Letzten Willen kund:
1. Ich bin Einwohner des Bundesstaates Mississippi. Meine Adresse lautet: 4498 Simpson Road, Palmyra, Ford County, Mississippi.
2. Ich widerrufe hiermit alle zuvor niedergelegten Testamente, die meine Unterschrift tragen, insbesondere das vom 7. September 1987, welches von Mr. Lewis McGwnyre von der Kanzlei Rush in Tupelo, Mississippi, aufgesetzt wurde. Dieses Testament hatte bereits ein vor angegangenes abgelöst, das ich im März 1985 unterschrieben hatte.
3. Dies ist ein eigenhändiges Testament, das ich allein und ohne die Hilfe Dritter verfasst und von Hand zu Papier gebracht habe. Es ist unterschrieben und von mir mit Datum versehen. Ich habe es am heutigen 1. Oktober 1988 in meinem Büro niedergeschrieben.
4. Ich bin bei klarem Verstand und besitze volle Testierfähigkeit. Niemand übt Druck auf mich aus oder versucht, mich zu beeinflussen.
5. Als Testamentsvollstrecker setze ich ein: Russell Amburgh, 762 Ember Street, Temple, Mississippi. Mr. Amburgh ist Prokurist meiner Holding-Gesellschaft und bestens vertraut mit meinen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten. Ich weise Mr. Amburgh an, sich an Mr. Jake Brigance, RA, in Clanton, Mississippi, zu wenden, der die notwendigen rechtlichen Schritte einleiten soll. Es ist mein ausdrücklicher Wille, dass kein anderer Anwalt in Ford County sich in meine Angelegenheiten mischt oder auch nur einen Penny an mir verdient.
6. Ich habe zwei Kinder – Herschel Hubbard und Ramona Hubbard Dafoe –, die wiederum Kinder haben. Wie viele, weiß ich nicht, da ich sie schon länger nicht mehr gesehen habe. Meine beiden Kinder und alle meine Enkel sollen vom Erbe ausgeschlossen werden. Ich weiß nicht genau, wie der erbrechtliche Fachausdruck für »ent erben« lautet, aber ich will, dass sowohl Kinder wie Enkel vollkommen leer ausgehen. Wenn sie dieses Testament anfechten und verlieren, ist es mein Wunsch, dass sie sämtliche Anwalts- und Gerichtskosten übernehmen, die durch ihre Gier entstanden sind.
7. Ich habe zwei Exfrauen, deren Namen ich nicht nennen will. Da sie durch die Scheidungen praktisch alles bekommen haben, sollen sie jetzt nichts mehr bekommen. Ich enterbe sie ebenfalls. Möge sie ein qualvolles Ende ereilen, so wie mich.
8. Ich schenke, hinterlasse, übergebe (wie auch immer es richtig heißt) neunzig Prozent meines Vermögens meiner Freundin Lettie Lang, als Dank für ihre
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