Die Erbin
Augenblick lang war Jake schockiert, zeigte es aber nicht. Er studierte das verzerrte Gesicht. »Ich bin dem Mann nie begegnet«, sagte er leise. »Wer hat ihn gefunden?«
»Einer seiner Arbeiter. Sieht aus, als hätte Mr. Hubbard alles sorgfältig geplant.«
»O ja.« Jake griff in die Sakkotasche, holte die Kopien heraus und reichte sie Ozzie. »Das war heute Morgen in meiner Post. Druckfrisch. Die erste Seite ist ein Brief an mich. Die zwei anderen Blätter sind angeblich sein Testament.«
Ozzie nahm den Brief und las ihn langsam durch. Ohne eine Miene zu verziehen, tat er anschließend das Gleiche mit dem Testament. Als er fertig war, legte er die Blätter auf den Schreibtisch und rieb sich die Augen. »Wow«, brachte er heraus. »Ist das Ding rechtmäßig, Jake?«
»Eindeutig. Ich bin trotzdem sicher, dass die Familie es anfechten wird.«
»Mit welchen Argumenten?«
»Sie werden alles Mögliche behaupten: Der alte Mann war nicht mehr bei Verstand, diese Frau hat unzulässigen Einfluss auf ihn ausgeübt und ihn gezwungen, sein Testament zu än dern. Glaub mir, wenn genug Geld im Spiel ist, werden die alles versuchen.«
»Diese Frau«, wiederholte Ozzie, lächelte dann und begann den Kopf zu schütteln.
»Kennst du sie?«
»Allerdings.«
»Schwarz oder weiß?«
»Schwarz.«
Jake hatte schon damit gerechnet und war weder überrascht noch enttäuscht; im Gegenteil, er verspürte eine gewisse Erregung in sich aufsteigen. Ein wohlhabender Weißer, der im letz ten Moment sein Testament zugunsten einer Schwarzen änderte, für die er offenbar große Zuneigung hegte. Das würde vor der Geschworenenbank erhitzte Debatten auslösen, und er wäre mittendrin.
»Wie gut kennst du sie?«, fragte er.
Ozzie kannte jeden Schwarzen in Ford County. Die, die als Wähler registriert waren, aber auch die anderen; die Landbesitzer und die, die von der Stütze lebten; die, die Arbeit hatten, und die, die der Arbeit aus dem Weg gingen; die, die sparten, und die, die von Einbrüchen lebten; die, die sonntags in die Kirche gingen, und die, die nur in Kneipen herumhingen. »Ich kenne sie eben«, sagte er zurückhaltend. »Sie wohnt nicht weit von Box Hill in einer Gegend namens Little Delta.«
Jake nickte. »Da bin ich schon mal durchgefahren.«
»Ist am Ende der Welt, nur Schwarze wohnen da. Sie ist mit einem Mann namens Simeon Lang verheiratet, ein Faulenzer und Quartalssäufer, der kommt und geht, wie es ihm passt.«
»Der Name Lang ist mir noch nie begegnet.«
»Diesem Lang willst du nicht begegnen. Wenn er nüchtern ist, fährt er, glaube ich, Lkw und Bulldozer. Ich weiß, dass er schon ein- oder zweimal auf einer Ölbohrinsel gearbeitet hat. Labiler Typ. Vier oder fünf Kinder, einer der Jungen im Gefängnis, ein Mädchen ist, glaube ich, bei der Army. Lettie dürfte Mitte vierzig sein. Sie ist eine geborene Tayber, davon gibt es nicht viele in der Gegend. Er ist ein Lang, und davon wimmelt es hier geradezu. Ich wusste nicht, dass sie für Seth Hubbard gearbeitet hat.«
»Hast du Hubbard gekannt?«
»Könnte man sagen. Er hat mir für meine Wahlkampagnen jeweils fünfundzwanzigtausend Dollar bar in die Hand gedrückt, ohne eine Gegenleistung dafür zu wollen. Im Gegenteil, in meiner ersten Amtszeit hat er mich geradezu gemieden. Letzten Sommer, vor meiner Wiederwahl, kam er vorbei und gab mir noch einen Umschlag.«
»Du hast das Geld genommen?«
»Dein Ton gefällt mir nicht, Jake«, sagte Ozzie mit einem Lächeln. »Ja, ich habe das Geld genommen, weil ich gewin nen wollte. Außerdem haben meine Gegner das Gleiche getan. Politik ist kein Zuckerschlecken, schon gar nicht hier in dieser Gegend.«
»Ist schon okay. Wie reich ist er?«
»Nun, nach eigener Aussage ziemlich reich. Genaueres weiß ich nicht. Er hat immer ein Geheimnis darum gemacht. Gerüchten zufolge hat er – übrigens dank Harry Rex’ tätiger Mithilfe – bei einer schlimmen Scheidung alles verloren, woraufhin er dann über seine Geschäfte geschwiegen hat.«
»Kluger Mann.«
»Er besaß etwas Land und hatte immer mit Holz zu tun. Mehr weiß ich nicht.«
»Was ist mit seinen zwei erwachsenen Kindern?«
»Ich habe gestern Nachmittag gegen fünf mit Herschel Hubbard telefoniert und ihm die traurige Nachricht übermittelt. Er wohnt in Memphis, viel mehr habe ich nicht erfahren. Er sagte, er würde seine Schwester Ramona informieren und sie kämen dann sofort. Seth hat ein paar Anweisungen hinterlassen, was mit ihm geschehen soll. Die
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