Die Erbin
Anwälte häufig im Scherz »Geben Sie mir die ersten zwölf«, wenn sie sich den Pool potenzieller Geschworener ansahen, die gespannt im großen Gerichtssaal Platz genommen hatten.
Der einäugige Prediger wurde später in den Senat Mississippis gewählt, trotz Gehirnschaden und so.
»Ich bin sicher, dass Wade Lanier einen Geschworenenberater haben wird«, wandte Jake ein. »Er arbeitet ständig mit ihnen. Ich versuche doch nur, für Chancengleichheit zu sorgen.«
»Hatten Sie beim Hailey-Prozess einen Geschworenenberater?«, wollte Richter Atlee wissen.
»Nein, Sir. Für diesen Prozess habe ich neunhundert Dollar bekommen. Als er vorbei war, konnte ich nicht mal mehr meine Telefonrechnung bezahlen.«
»Aber gewonnen haben Sie trotzdem. So langsam mache ich mir Sorgen über die Kosten für die Nachlassverwaltung und die Prozessführung.«
»Im Nachlass sind vierundzwanzig Millionen. Wir haben noch nicht einmal ein Prozent davon ausgegeben.«
»Ja, aber bei dem Tempo, das Sie vorlegen, wird es nicht mehr lange dauern.«
»Ich stelle keine überhöhten Rechnungen, wenn Sie das meinen.«
»Jake, Ihr Honorar zweifle ich nicht an. Aber wir haben für Buchprüfer, Sachverständige, Quince Lundy, Sie, Privatdetektive und Gerichtsstenografen bezahlt, und jetzt bezahlen wir Sachverständige, die vor Gericht aussagen sollen. Mir ist klar, dass wir das alles nur tun, weil Seth Hubbard so unklug war, dieses Testament zu schreiben, obwohl er wusste, dass es deshalb eine hässliche Auseinandersetzung geben würde. Trotzdem haben wir die Pflicht, seinen Nachlass zu schützen.« Der Richter hörte sich an, als müsste er das Geld aus der eigenen Tasche zahlen. Er klang ausgesprochen zugeknöpft, und Jake musste an Harry Rex’ Warnung denken.
Er holte tief Luft und ließ die Bemerkung unkommentiert. Nach zwei Niederlagen – keine Verlegung des Verhandlungsortes, kein Geschworenenberater – beschloss er, den Richter nicht weiter zu drängen; irgendwann würde er es noch einmal versuchen. Es war ohnehin egal. Richter Atlee fing plötzlich zu schnar chen an.
Boaz Rinds lebte in einem tristen, heruntergekommenen Pflege heim am Nord-Süd-Highway, der durch die kleine Stadt Pell City in Alabama führte. Nach einer vierstündigen Fahrt mit einigen Umwegen, falschen Abzweigungen und Sackgassen fan den Portia und Lettie das Heim an einem Samstag kurz nach Mittag. Nachdem Charley Pardue mit entfernten Verwandten in Chicago gesprochen hatte, war es ihm gelungen, Boaz aufzuspüren. Charley bemühte sich sehr, mit seiner neuen Lieblingscousine in Kontakt zu bleiben. Die Gewinnaussichten für das Bestattungsinstitut wurden von Woche zu Woche größer, und bald würde es an der Zeit sein zuzuschlagen.
Boaz war bei schlechter Gesundheit und konnte kaum noch hören. Er saß in einem Rollstuhl, den er aber nicht selbst bewe gen konnte. Ein Pfleger schob ihn nach draußen auf eine Terrasse mit Betonboden und ließ ihn dort stehen, damit die beiden Damen ihn befragen konnten. Boaz war froh, Besuch zu haben. An dem Samstag schien niemand mehr zu kommen. Er sagte, er sei »etwa« 1920 als Sohn von Rebecca und Monroe Rinds geboren worden, irgendwo in der Nähe von Tupelo. Das würde bedeuten, dass er um die achtundsechzig war, was sie schockierte. Er sah erheblich älter aus, mit schneeweißen Haaren und zahlreichen Falten um die glasigen Augen. Er sagte, er habe Herzprobleme und sei früher Kettenraucher gewesen.
Portia erklärte, dass sie und ihre Mutter versuchten, den Stammbaum der Familie zusammenzustellen, und dass sie vielleicht mit ihm verwandt seien. Das brachte ein Lächeln auf seine Lippen, bei dem deutlich wurde, dass ihm mehrere Zähne fehlten. Portia wusste, dass es in Ford County keinen Nachweis über die Geburt eines Boaz Rinds gab, aber inzwischen wusste sie auch, wie lückenhaft die Aufzeichnungen geführt worden waren. Er sagte, er habe zwei Söhne, beide tot, und seine Frau sei schon vor Jahren gestorben. Falls er Enkelkinder habe, wisse er nichts davon. Niemand komme ihn je besuchen. So wie das Pflegeheim aussah, war Boaz nicht der einzige Bewohner, der hier vergessen wurde.
Er sprach langsam und hörte gelegentlich auf zu reden, um sich an der Stirn zu kratzen, während er versuchte, sich zu erinnern. Nach zehn Minuten war klar, dass er an irgendeiner Form von Demenz litt. Sein Leben war hart, fast brutal gewesen. Seine Eltern waren Landarbeiter gewesen, die durch Mississippi und Alabama zogen und ihre große
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