Die Erbin
lassen, in seine alten Gewohnheiten zurück zu verfallen. »Wäre es dann vielleicht möglich, die Anwälte dazu zu verpflichten, eine kurze Zusammenfassung dessen vorzule gen, was ein Zeuge bei seiner Aussage sagen könnte?«, fragte Jake. »Das scheint mir angebracht zu sein, Euer Ehren.«
»Mr. Lanier?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das für angebracht halten soll, Euer Ehren. Nur weil wir uns abgerackert und eine ganze Menge Zeugen gefunden haben, von denen Mr. Brigance noch nie etwas gehört hat, heißt das nicht, dass wir ihm sagen müssen, was sie vielleicht bezeugen werden. Soll er doch auch mal was tun.« Sein Ton war herablassend, fast beleidigend, und für den Bruchteil einer Sekunde kam sich Jake vor wie ein fauler Hund.
»Der Meinung bin ich auch«, stimmte ihm Richter Atlee zu. Lanier warf Jake einen triumphierenden Blick zu und setzte sich wieder.
Die Vorverhandlung zog sich hin, als sie über die Sachverständigen und deren mögliche Aussagen sprachen. Jake war wütend auf Richter Atlee und versuchte nicht, das zu verbergen. Der Höhepunkt der Sitzung war die Herausgabe der Geschworenenliste, die sich der Richter bis zum Schluss aufgehoben hatte. Es war fast Mittag, als ein Mitarbeiter die Liste verteilte. »Es sind siebenundneunzig Namen«, verkündete Atlee. »Alle haben bis auf das Alter die Kriterien erfüllt. Wie Sie wissen, möchten manche, die älter als fünfundsechzig sind, nicht automatisch von der Geschworenenpflicht ausgenommen werden, daher überlasse ich es Ihnen, meine Herren, sich bei der Auswahl darum zu kümmern.«
Die Anwälte überflogen die Namen, suchten nach freundlichen, sympathischen, klugen Menschen, die sich sofort auf ihre Seite schlagen und das richtige Urteil fällen würden. »Und jetzt hören Sie mir bitte gut zu«, fuhr Atlee fort. »Ich werde keinerlei Kontakt zu diesen Leuten dulden. Bei großen Prozessen ist es heutzutage wohl nichts Ungewöhnliches, dass die Anwälte den Geschworenenpool so gründlich wie möglich untersuchen. Nur zu. Aber nehmen Sie keinen Kontakt zu den potenziellen Geschworenen auf, beschatten Sie sie nicht, schüchtern Sie sie nicht ein, belästigen Sie sie in keinster Weise. Jeder, der es versucht, wird schon sehen, was er davon hat. Und behandeln Sie diese Listen vertraulich. Ich möchte nicht, dass das gesamte County weiß, wer im Pool ist.«
»Nach welchem Prinzip erfolgt bei der Auswahl die Verteilung der Sitzplätze für die Geschworenen?«, erkundigte sich Wade Lanier.
»Nach dem Zufallsprinzip.«
Die Anwälte schwiegen, während sie sich beeilten, die Namen durchzugehen. Jake hatte eindeutig Heimvorteil. Aber jedes Mal, wenn er sich eine Geschworenenliste ansah, wunderte er sich darüber, wie wenige Namen er erkannte. Ein ehemaliger Mandant hier, ein Mitglied seiner Kirchengemeinde da. Ein früherer Klassenkamerad aus der Highschool in Karaway. Der Cousin seiner Mutter. Eine schnelle Überprüfung ergab vielleicht zwanzig Treffer von siebenundneunzig. Harry Rex kannte sicherlich mehr. Ozzie kannte alle Schwarzen und viele der Weißen. Lucien würde damit angeben, wie viele er kannte, aber in Wahrheit hockte er schon zu lange auf seiner Veranda.
Wade Lanier und Lester Chilcott aus Jackson kannten keinen einzigen Namen, aber sie würden Hilfe bekommen. Sie hatten sich mit der Kanzlei Sullivan zusammengetan, die mit ihren neun Anwälten die größte im County war und jede Menge Auskünfte geben konnte.
Um 12.30 Uhr war Richter Atlee müde und beendete die Sitzung. Jake eilte aus dem Gerichtssaal und fragte sich, ob der alte Mann überhaupt körperlich in der Lage war, den anstrengenden Prozess durchzustehen. Außerdem fragte er sich, welche Regeln bei dem Prozess gelten würden. Es war bereits klar geworden, dass die offiziellen Regeln – also die neuen Regeln – nicht strengstens befolgt werden würden.
Doch Jake und jeder andere Anwalt in Mississippi wussten, dass der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates bekannt dafür war, sich der Weisheit seiner einheimischen Richter zu beugen. Sie waren vor Ort, sie spürten die Hitze des Gefechts. Sie sahen die Gesichter, hörten die Zeugenaussagen, spürten die Spannung. Wer sind wir denn, hatte sich der Oberste Gerichtshof im Laufe der Jahrzehnte immer wieder gefragt, dass wir so weit weg von allem die Entscheidung des Richters Soundso einfach durch ein eigenes Urteil ersetzen können?
Wie stets würden für den Prozess die Regeln des Ehrenwerten Richter Atlee gelten.
Wie
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