Die Erbin
auch immer sie in dem Moment gerade aussehen mochten.
Wade Lanier und Lester Chilcott marschierten schnurstracks in die Kanzlei Sullivan und betraten den Konferenzraum im ers ten Stock. Dort wartete eine Platte mit Sandwichs auf sie, außerdem ein kleiner, quirliger Mann mit einem Akzent aus dem nördlichen Teil des Mittleren Westens. Er hieß Myron Pankey, war früher Anwalt gewesen und hatte eine Nische in dem verhältnismäßig jungen Bereich der Geschworenenberatung gefunden, einem Fachgebiet, das bei größeren Prozessen zuneh mend in Anspruch genommen wurde. Für ein stattliches Hono rar vollbrachten Pankey und seine Mitarbeiter alle möglichen Wunder und lieferten die perfekte Jury, zumindest die best mögliche. Er und sein Team hatten bereits eine Telefonumfrage durchgeführt. Zweihundert registrierte Wähler in Countys, die an Ford County angrenzten, waren interviewt worden. Fünfzig Prozent von ihnen sagten, eine Person solle das Recht haben, sein oder ihr Vermögen jedem Beliebigen zu hinterlassen, selbst wenn dies zulasten seiner oder ihrer Familie gehe. Aber neun zig Prozent würden misstrauisch werden, wenn jemand in einem handschriftlichen Testament alles der letzten Bezugsperson hinterlasse. Es hatten sich riesige Datenmengen angesammelt, die gerade in Pankeys Hauptsitz in Cleveland analysiert wurden. Die Hautfarbe war bei keinem Teil der Umfrage ein Faktor gewesen.
Aufgrund der vorläufigen Zahlen war Wade Lanier opti mistisch. Er aß ein Sandwich im Stehen und redete pausenlos, während er mit einem Strohhalm Cola light trank. Kopien der Ju rylisten wurden angefertigt und auf dem Konferenztisch verteilt. Jeder der neun Anwälte der Kanzlei Sullivan erhielt eine Kopie und wurde gebeten, sich so schnell wie möglich die Namen anzusehen, obwohl alle wie üblich bis über beide Ohren in Arbeit steckten und nicht wussten, wie sie es schaffen sollten, in ihren bis zum Bersten gefüllten Terminkalendern fünf freie Minuten zu finden.
An einer Wand des Konferenzraums wurde eine stark vergrößerte Straßenkarte von Ford County aufgehängt. Ein ehemaliger Polizist aus Clanton namens Sonny Nance war bereits dabei, nummerierte Markierungsnadeln in die Straßen zu stecken, in denen die potenziellen Geschworenen wohnten. Nance war in Clanton aufgewachsen, mit einer Frau aus Karaway verheira tet und behauptete, jeden zu kennen. Er war von Myron Pankey eingestellt worden, um sein Wissen einzusetzen. Um 13.30 Uhr kamen vier weitere neue Mitarbeiter herein, die ihre Anweisungen erhielten. Lanier war direkt, aber präzise. Er wollte Farb fotos von jedem Haus, jedem Viertel, jedem Auto, falls möglich. Wenn auf der Stoßstange Sticker klebten, machen Sie Fotos davon. Aber lassen Sie sich auf gar keinen Fall dabei erwischen. Tarnen Sie sich als Interviewer, Inkassobeauftragter, Geldbote, Missionare, egal was, Hauptsache, es ist glaubhaft. Aber reden Sie mit den Nachbarn und finden Sie so viel heraus, wie Sie nur können, ohne jemanden misstrauisch zu machen. Nehmen Sie unter keinen Umständen direkten Kontakt mit einem poten ziellen Geschworenen auf. Finden Sie heraus, wo die Leute arbeiten, in welcher Kirche sie beten, in welche Schule sie ihre Kinder schicken. Wir haben das Wesentliche: Name, Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Adresse, Wahlbezirk, aber sonst nichts. Es müssen also viele leere Stellen gefüllt werden.
»Sie dürfen sich auf keinen Fall erwischen lassen«, sagte Lanier. »Wenn Ihre Aktivitäten Argwohn erregen, verschwinden Sie auf der Stelle. Wenn Sie jemand anspricht und fragt, was Sie da machen, geben Sie ihm einen falschen Namen und kommen hierher zurück. Auch wenn Sie nur glauben, gesehen worden zu sein, verschwinden Sie und kommen hierher. Noch Fragen?«
Keiner der vier war aus Ford County, daher war die Chance, erkannt zu werden, gleich null. Zwei waren ehemalige Polizis ten, zwei arbeiteten in Teilzeit als Privatdetektiv; sie wussten also, wie man Informationen über jemanden sammelte. »Wie viel Zeit haben wir?«, fragte einer von ihnen.
»Der Prozess beginnt in zwei Wochen von heute an. Melden Sie sich jeden zweiten Tag, und geben Sie uns die Infos, die Sie gesammelt haben. Freitag nächste Woche ist Schluss.«
»Gehen wir«, sagte ein anderer.
»Und lassen Sie sich nicht erwischen.«
Jakes Geschworenenberaterin war gleichzeitig seine Sekretärin/Anwaltsassistentin. Da Richter Atlee Ausgaben aus dem Nach lass inzwischen so verwaltete, als müsste er alles aus seiner eigenen Tasche
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