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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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ich weiß es nicht, weil ich diese Namen zum ersten Mal sehe. Ich habe mir gerade die letzten Meldungen auf meine schriftliche Aufforderung zur Angabe aller potenziellen Zeugen angesehen, und von den fünfundvierzig, die hier stehen, wurden von den anfechtenden Parteien bisher nur fünfzehn oder sechzehn genannt. Nach den Regeln hätte ich diese Namen schon vor Monaten bekommen müssen. Die anfechtende Partei hat mich mit Zeugen bombardiert, Euer Ehren. Sie hat mir zwei Wochen vor dem Prozess eine endlose Liste mit Zeugen auf den Tisch geknallt, und ich habe keine Möglichkeit mehr, mit allen zu reden und herauszufinden, was sie aussagen wer den. Eine eidesstattliche Aussage im Vorfeld kann man ver gessen, das würde noch einmal sechs Monate dauern. Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Regeln, und hinterhältig ist es auch.«
    Richter Atlee warf einen finsteren Blick in Richtung des anderen Tisches. »Mr. Lanier?«
    Lanier stand auf. »Darf ich mir ein wenig die Beine ver treten, Euer Ehren? Ich habe ein kaputtes Knie.«
    »Meinetwegen.«
    Lanier fing an, vor seinem Tisch auf und ab zu gehen, wobei er leicht hinkte. Vermutlich noch einer seiner schmutzigen Tricks, dachte Jake.
    »Euer Ehren, das ist nicht hinterhältig, und ich verbitte mir diese Anschuldigung. Offenlegung ist stets ein noch nicht abgeschlossener Prozess. Ständig tauchen neue Namen auf. Manchmal erklären sich Zeugen erst in letzter Minute zu einer Aussage bereit. Ein Zeuge erinnert sich an einen anderen und dann vielleicht an noch einen, oder er erinnert sich an etwas, was passiert ist. Unsere Privatdetektive suchen jetzt seit fünf Monaten, und wenn ich das so offen sagen darf, wir hatten dabei einfach mehr Erfolg als die Gegenseite. Wir haben mehr Zeugen gefunden, und wir sind immer noch dabei, nach weiteren Zeugen zu suchen. Mr. Brigance hat zwei Wochen Zeit, jeden Zeugen auf meiner Liste telefonisch oder persönlich zu kontaktieren. Das ist nicht viel Zeit, aber wann hat man je genug Zeit? Wir wissen alle, dass man nie genug Zeit hat. Prozesse, bei denen viel auf dem Spiel steht, sind eben so, Euer Ehren. Beide Seiten bemühen sich bis zum allerletzten Moment.« Dass Lanier genauso gut hinken wie argumentieren konnte, brachte ihm Jakes wider willige Bewunderung ein, obwohl er seinem Widersacher am liebsten eine Axt an den Kopf geworfen hätte. Lanier hielt sich nicht an die Regeln, aber er war sehr geschickt darin, seinen Betrug zu legitimieren.
    Für Wade Lanier war es ein entscheidender Moment. Tief in der Liste der fünfundvierzig potenziellen Zeugen war der Name Julina Kidd vergraben. Sie war bis jetzt die einzige Schwarze, die Randall Clapp gefunden hatte, welche bereit war, auszusagen und zuzugeben, dass sie mit Seth geschlafen hatte. Für fünftausend Dollar plus Spesen hatte sie zugestimmt, nach Clanton zu kommen und in den Zeugenstand zu treten. Ferner hatte sie zugestimmt, Telefonanrufe oder sonstige Kontaktversuche seitens anderer Anwälte zu ignorieren, vor allem, wenn es sich dabei um einen gewissen Jake Brigance handelte, der auf der Suche nach Hinweisen unter Umständen bei ihr auftauchen könnte.
    Nicht in der Liste aufgeführt war Fritz Pickering; sein Name war an keiner Stelle erwähnt worden und würde erst in einem kritischen Moment des Prozesses auftauchen.
    »Wie viele Zeugenaussagen haben Sie bereits protokolliert?«, fragte Richter Atlee an Jake gewandt.
    »Zusammengenommen haben wir bis jetzt dreißig Aussagen.«
    »Das hört sich nach ziemlich viel an. Und diese Aussagen sind nicht billig. Mr. Lanier, Sie haben doch wohl nicht vor, fünfundvierzig Zeugen aufzurufen?«
    »Natürlich nicht, Euer Ehren, aber die Regeln verlangen, dass wir alle potenziellen Zeugen aufführen. Ich weiß vielleicht erst nach der Hälfte des Prozesses, wen ich als Nächstes im Zeugenstand brauche. So viel Flexibilität gestatten die Regeln.«
    »Das verstehe ich. Mr. Brigance, wie viele Zeugen wollen Sie aufrufen»?
    »Etwa fünfzehn, Euer Ehren.«
    »Meine Herren, ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass ich weder die Geschworenen noch mich selbst mit der Aussage von sechzig Zeugen strapazieren werde. Gleichzeitig bin ich nicht gewillt, Ihnen vorzuschreiben, wen Sie im Prozess in den Zeugen stand rufen dürfen und wen nicht. Sorgen Sie einfach dafür, dass alle Zeugen der Gegenseite offengelegt werden. Mr. Brigance, Sie haben alle Namen und zwei Wochen Zeit.«
    Jake schüttelte frustriert den Kopf. Der Richter konnte es einfach nicht

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