Die Erbin
mit Stöcken auf einen Schwarzen eindroschen. Er hatte kein Hemd mehr an, und seine Hose war zerrissen. Es war Sylvester Rinds. Seine Frau Esther stand weinend und schreiend etwa fünfzig Meter entfernt vor ihrem Haus. Sie versuchte, zu ihm zu kommen, aber einer der Weißen schlug sie nieder. Seth und ich schlichen uns näher heran, bis wir den Waldrand erreicht hatten. Da blieben wir stehen und horchten und beobachteten. Ein weiterer Pick-up mit mehreren Männern fuhr vor. Sie hatten ein Seil, und als Sylvester das Seil sah, drehte er durch. Drei oder vier Weiße waren nötig, um ihn festzuhalten, damit sie ihn an Händen und Füßen fesseln konnten. Sie schleppten ihn davon und warfen ihn auf die Ladefläche eines Pick-up.«
»Wo war Ihr Vater?«, fragte Lucien.
Ancil legte eine Pause ein, holte tief Luft und rieb sich die Augen. Dann fuhr er fort: »Er war dabei, stand mit einer Schrotflinte in der Hand ein wenig abseits. Er gehörte eindeutig zu dieser Bande, aber er wollte sich die Hände nicht schmutzig machen. Es waren vier Pick-ups, die langsam von der Siedlung wegrollten, nicht weit, nur bis zu einer Platanenreihe. Seth und ich kannten den Platz gut, weil wir an dem Bach immer geangelt hatten. Fünf oder sechs hohe Platanen standen in einer schnurgeraden Reihe, daher der Name Sycamore Row. Es kursierte eine alte Geschichte über einen Indianerstamm, der die Bäume als Teil eines heidnischen Rituals gepflanzt habe, aber wer weiß das schon. Die Pick-ups hielten am ersten Baum und bildeten einen Halbkreis, um den Platz mit ihren Scheinwerfern zu beleuchten. Seth und ich waren im Wald hinterhergeschlichen. Ich wollte das nicht sehen und sagte irgendwann: ›Seth, lass uns gehen.‹ Aber ich rührte mich nicht von der Stelle und er auch nicht. Es war zu furchtbar, um wegzulaufen. Sie warfen das Seil über einen dicken Ast und zogen Sylvester die Schlinge über den Kopf. Er wand sich, schrie, bettelte: ›Ich habe nichts gesagt, Mister Burt, ich habe nichts gesagt. Bitte, Mister Burt, Sie wissen, dass ich nichts gesagt habe.‹ Ein paar von ihnen zerrten am anderen Ende des Seils und rissen ihm fast den Kopf ab.«
»Wer war Mr. Burt?«, fragte Lucien.
Ancil holte wieder tief Luft und starrte eine quälend lange Zeit einfach nur in die Kamera.
»Wissen Sie«, sagte er schließlich, »das ist fast neunundfünzig Jahre her, und ich bin sicher, alle diese Männer sind schon lange tot. Ich bin überzeugt, dass sie in der Hölle schmoren, und da gehören sie auch hin. Aber sie haben Familien, und es kann nichts Gutes dabei herauskommen, wenn ich Namen nenne. Seth hat drei von ihnen erkannt: Mister Burt, den Anführer des Lynchmobs. Unseren lieben Vater natürlich. Und noch einen, aber ich werde keinen Namen nennen.«
»Mit den Namen sind Sie sich sicher?«
»O ja. Ich werde sie nie vergessen, solange ich lebe nicht.«
»Verständlich. Was ist dann passiert?«
Eine weitere lange Pause, während Ancil um Fassung rang.
Jake sah die Geschworenen an. Nummer drei, Michele Still, tupfte ihre Wangen mit einem Papiertaschentuch ab. Die an dere schwarze Geschworene, Barb Gaston, Nummer acht, wischte sich über die Augen. Jim Whitehurst, Nummer sieben, der rechts von ihr saß, reichte ihr sein Taschentuch.
»Sylvester hing praktisch schon, aber seine Zehen berührten noch die Ladefläche des Pick-ups. Das Seil lag so straff um seinen Hals, dass er weder sprechen noch schreien konnte, aber er versuchte es. Er gab einen entsetzlichen Laut von sich, den ich nie vergessen werde, eine Art hohes Knurren. Die Männer ließ ihn ein oder zwei Minuten leiden, während sie um ihn herumstanden und ihr Werk bewunderten. Er tänzelte auf Zehenspitzen, versuchte, seine Hände zu befreien, versuchte zu schreien. Es war so mitleiderregend, so grauenhaft.«
Ancil fuhr sich mit der Rückseite des Hemdsärmels über die Augen. Jemand, der nicht im Bild zu sehen war, reichte ihm Papiertaschentücher. Er atmete schwer.
»Mein Gott, ich habe diese Geschichte nie jemandem erzählt. Seth und ich redeten noch Tage und Monate später darüber, dann einigten wir uns darauf, dass wir versuchen wollten, es zu vergessen. Ich habe nie jemandem davon erzählt. Es war so furchtbar. Aber wir waren ja bloß Kinder, wir hätten sie nicht aufhalten können.«
Nach einer Pause fragte Lucien weiter. »Und was ist dann passiert, Mr. Hubbard?«
»Was zu erwarten war. Mister Burt brüllte: ›Los!‹, und der Typ, der den Pick-up fuhr, ließ den Wagen einen
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