Die Erbin
räumen. Sofort. Packt euer Zeug und verschwindet. Es gab eine kleine Holzkapelle, wo sie seit Jahrzehnten ihre Gottesdienste abhielten, und um zu beweisen, dass alles ihm gehörte, steckte Cleon sie in Brand. Brannte sie vollständig nieder, um zu zeigen, was für ein wichtiger Mann er war. Der Sheriff und der Deputy halfen ihm. Sie drohten, auch die Hütten niederzubrennen.«
»Und Sie haben das gesehen?«
»Natürlich. Seth und ich ließen uns nichts entgehen. Wir sollten eigentlich auf den Baumwollfeldern Unkraut jäten, aber als der Sheriff bei uns vorfuhr, wussten wir, dass etwas im Busch war. Wir hofften, er würde Cleon verhaften, aber so lief das damals in Mississippi nicht. Im Gegenteil. Der Sheriff war da, um Cleon zu helfen, sein Land von diesen Schwarzen zu säubern.«
»Was ist mit den Schwarzen passiert?«
»Na ja, sie gingen. Sie schnappten sich, was sie tragen konnten, und liefen in den Wald.«
»Wie viele?«
»Wie gesagt, ich war noch ein Kind. Ich habe sie nicht gezählt. Aber es gab mehrere Rinds-Familien, die auf dem Land lebten, nicht alle in der Siedlung, aber in der Nähe.« Ancil holte tief Luft. »Ich bin plötzlich so müde«, murmelte er.
»Wir sind fast fertig«, sagte Lucien. »Bitte erzählen Sie weiter.«
»Schon gut, schon gut. Sie rannten also weg, in den Wald, und sobald eine Familie ihre Hütte geräumt hatte, steckten Cleon und der Sheriff sie an. Sie brannten alles nieder. Ich kann mich noch genau erinnern, wie manche der Schwarzen am Waldrand standen, ihre Kinder und die Habseligkeiten, die sie in der Eile hatten mitnehmen können, im Arm hielten und weinend und wehklagend auf das Feuer und den dichten grauen Rauch blickten. Es war einfach nur furchtbar.«
»Was ist aus ihnen geworden?«
»Sie haben sich in alle Winde zerstreut. Eine Zeit lang kampierten ein paar von ihnen am Tutwiler Creek, tief im Wald in der Nähe des Big Brown River. Seth und ich suchten nach Toby und fanden ihn da mit seiner Familie. Sie hatten Hunger und waren völlig verängstigt. An einem Sonntagnachmittag beluden wir die Pferde mit so viel Essen wie möglich und machten uns davon, ohne dass sie uns erwischten. An diesem Tag sah ich Esther und ihre kleine Tochter, Lois. Das Kind war vielleicht fünf und splitternackt. Sie hatte nichts anzuziehen. Toby kam ein paarmal zu unserem Haus und versteckte sich hinter der Scheune. Seth und ich gaben ihm so viel Essen, wie wir konnten. Er schleppte es bis zu ihrem Lagerplatz, der mehrere Kilometer entfernt war. Eines Samstags tauchten Männer mit Gewehren und Schrotflinten auf. Wir kamen nicht nah genug heran, um etwas zu hören, aber meine Mutter erzählte uns später, dass sie zum Lagerplatz gingen und alle Rinds vertrieben. Einige Jahre später erzählte mir ein anderes schwarzes Kind, dass Toby und seine Schwes ter im Bach ertrunken und ein paar Leute erschossen worden waren. Ich glaube, da hatte ich genug. Kann ich bitte etwas Wasser haben?«
Eine Hand schob Ancil ein Glas Wasser hin, und er nippte langsam daran. »Als ich dreizehn war, trennten sich meine Eltern«, fuhr er fort. »Es war ein glücklicher Tag für mich. Ich ging mit mei ner Mutter nach Corinth, Mississippi. Seth wollte die Schule nicht wechseln, deswegen blieb er bei Cleon, obwohl sie kaum miteinan der sprachen. Ich vermisste meinen Bruder sehr, aber nach einer Weile lebten wir uns natürlicherweise auseinander. Dann heiratete meine Mutter einen Dreckskerl, der nicht viel besser als Cleon war. Ich lief weg, als ich sechzehn war, und ging mit siebzehn zur Marine. Manchmal habe ich das Gefühl, seitdem immer auf der Flucht gewesen zu sein. Nachdem ich weggelaufen war, hatte ich nie wieder Kontakt zu meiner Familie. Mein Kopf bringt mich um. Das ist alles. Das ist das Ende dieser schlimmen Geschichte.«
47
Schweigend verließen die Geschworenen im Gänsemarsch ihren Raum und folgten dem Gerichtsdiener über die Hintertreppe zu einem Seiteneingang des Gerichtsgebäudes, auf demselben Weg, den sie seit Dienstag jeden Tag zurückgelegt hatten. Draußen gingen sie wortlos auseinander. Nevin Dark beschloss, zum Mittagessen nach Hause zu fahren. Im Augenblick scheute er die Gesellschaft seiner Mitgeschworenen. Er brauchte Zeit, um die Geschichte zu verarbeiten, die er soeben gehört hatte. Er wollte durchatmen, nachdenken, sich erinnern. Allein in seinem Pick-up, bei geöffneten Fenstern, fühlte er sich geradezu schmut zig; vielleicht half eine Dusche.
Mister Burt. Mister Burt. Irgendwo
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