Die Erbin
ungerührt. »Sehen wir uns die Kassette an, dann können wir uns immer noch streiten.«
»Wie lang ist die Aufnahme?«, fragte der Richter.
»Ungefähr eine Stunde.«
»Das ist Zeitverschwendung, Euer Ehren«, protestierte Lanier. »Sie können die Aussage nicht zulassen, weil ich nicht dabei war und keine Gelegenheit hatte, den Zeugen zu befragen. Das ist absurd.«
»Wir haben Zeit«, hielt Jake dagegen. »Wieso diese Eile?«
Richter Atlee paffte vor sich hin. Er blickte Jake an. »Band ab«, ordnete er mit einem Funkeln in den Augen an.
Jake nahm das Video ähnlich mit wie beim ersten Mal. Dinge, bei denen er am frühen Morgen nicht sicher gewesen war, ob er richtig gehört hatte, wurden bestätigt. Wiederholt warf er einen Seitenblick auf Wade Lanier, dessen Empörung dahinschwand, als ihn die Geschichte in ihren Bann zog. Am Ende wirkte er verunsichert. Alle Anwälte der anfechtenden Parteien hatten eine Verwandlung durchgemacht. Ihre Selbstgefälligkeit war ver schwunden.
Als Jake die Kassette herausholte, starrte Richter Atlee weiter hin auf den Bildschirm. Er zündete seine Pfeife erneut an und blies eine Rauchwolke in die Luft. »Mr. Lanier?«
»Das Video kann unmöglich als Beweismaterial zugelassen werden. Ich war nicht dabei. Ich hatte keine Gelegenheit, den Zeugen zu befragen oder ins Kreuzverhör zu nehmen. Das entspricht nicht den Grundsätzen eines fairen Prozesses.«
Das war zu viel für Jake. »Dann passt es ja zum Geiste dieses Verfahrens. Ein Überraschungszeuge hier, ein Hinterhalt da. Ich dachte, Sie verstehen sich auf diese Tricks, Lanier.«
»Ich werde das ignorieren. Dies ist keine ordnungsgemäß pro tokollierte Zeugenaussage, Richter Atlee.«
»Was hätten Sie ihn denn fragen können?«, wollte Jake wissen. »Er beschreibt Ereignisse, die sich vor Ihrer Geburt zugetragen haben, und er ist der einzige überlebende Zeuge. Sie könnten ihn gar nicht ins Kreuzverhör nehmen. Sie wissen nichts über die Ereignisse von damals.«
»Die Aussage wurde von der Gerichtsstenografin nicht ordnungsgemäß protokolliert«, wandte Lanier ein. »Dieser Anwalt aus Alaska darf in Mississippi nicht praktizieren. Die Liste ist endlos.«
»Gut. Dann ziehe ich es als protokollierte Zeugenaussage zurück und biete es als eidesstattliche Erklärung an. Eine Aussage, die ein Zeuge vor einem Notar beschworen hat. Die Gerichtsstenografin war auch Notarin.«
»Es hat nichts mit Seth Hubbards Testierfähigkeit am 1. Okto ber vergangenen Jahres zu tun.«
»Oh, ich glaube, es erklärt alles«, konterte Jake. »Es beweist ohne jeden Zweifel, dass Seth Hubbard genau wusste, was er tat. Kommen Sie schon, Richter Atlee, alles andere durfte den Geschworenen auch serviert werden.«
»Das genügt«, mahnte Richter Atlee streng. Er schloss die Augen und schien einen Augenblick lang nachzudenken. Er holte tief Luft und ließ seine Pfeife ausgehen. Dann öffnete er die Augen.
»Meine Herren, ich glaube, die Geschworenen sollten Ancil Hubbard kennenlernen.«
Zehn Minuten später wurde der Saal zur Ordnung gerufen. Die Geschworenen wurden erneut hereingeführt, die große Leinwand wieder aufgestellt. Richter Atlee entschuldigte sich bei den Geschworenen für die Verzögerung und erklärte dann, was geschehen war. Er blickte zum Tisch der anfechtenden Parteien.
»Mr. Lanier, haben Sie noch weitere Zeugen?«
Lanier erhob sich gequält, als hätte er Arthritis. »Nein. Unsere Beweisführung ist abgeschlossen.«
»Mr. Brigance?«
»Euer Ehren, ich würde gern noch einmal Lettie Lang aufrufen, um ihr einige wenige Fragen zu stellen. Das dauert nur ein paar Minuten.«
»Gut. Mrs. Lang, bitte denken Sie daran, dass Sie bereits vereidigt wurden und durch diesen Eid immer noch gebunden sind.«
Portia beugte sich vor. »Jake, was treiben Sie da?«, flüsterte sie.
»Nicht jetzt«, flüsterte er zurück. »Sie werden es gleich sehen.«
Lettie, die ihre letzte Zeugenaussage noch in schlechtester Erinnerung hatte, setzte sich und versuchte, ruhig zu wirken. Sie vermied es, die Geschworenen anzusehen. Es war keine Zeit gewesen, sie vorzubereiten, sie hatte keine Vorstellung, was kam.
»Lettie, wer war Ihre Mutter? Ihre leibliche Mutter?«, begann Jake.
Lettie lächelte, nickte – jetzt verstand sie. »Ihr Name war Lois Rinds.«
»Und wer waren ihre Eltern?«
»Sylvester und Esther Rinds.«
»Was wissen Sie über Sylvester Rinds?«
»Er ist 1930 verstorben, daher bin ich ihm nie begegnet. Er lebte auf einem Stück
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