Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
Flammen. » Sieh ins Innere des Reifs, Malian! «
Malian blinzelte und zog den Reif von ihrem Arm. Sie drehte ihn, damit sie ihn im Mondlicht betrachten konnte. Die Sternenspirale an der Außenseite leuchtete, aber die Innenseite war dunkel. Es gab keine Verzierungen oder Inschriften. Malian drehte ihn weiter und bemerkte eine dünne, flackernde Linie am inneren Rand. Nach einem Moment wurde die Linie heller. Sie sah auf einmal Buchstaben.
» Was steht da? « , fragte die Krähe.
» Das sind uralte Buchstaben « , antwortete Malian. » Einige Worte sind seltsam, aber ich glaube, dort steht: Ich wandle durch Welten und Zeit. Ich suche das Verborgene und finde das Verlorene. « Sie verzog das Gesicht. » Ist denn alles hier ein Rätsel? «
» Fast alles « , krächzte die Krähe trocken. » Schließlich sind wir in Jaransor. «
» Haimyr würde das gefallen. « Malian lächelte. » In Ij spielen sie oft solche Rätselspiele, und er hat immer versucht, mich hereinzulegen. «
Ihr Lächeln erstarb. » Welten und Zeit. Die gleiche Formulierung tauchte in dem Reim auf. Das könnte bedeuten, dass der Armreif mir dabei helfen wird, die Stufen ins Nichts zu erklimmen. Sozusagen als Führer, so wie du angedeutet hast, Krähe. «
Sie holte ihre Gedanken zurück und versuchte, sich an den verfallenen Turm zu erinnern, so wie sie ihn vor seinem unzerstörten Schatten gesehen hatte.
» Da war eine Treppe « , sagte sie, während sie angestrengt nachdachte, » und sie war zersprungen. Sie schien an der eingestürzten Turmspitze zu enden. «
Sie sah die Krähe von der Seite an. » Und das silberne Feuer bildet eine Spirale rund um den Turm, so wie eine Treppe … « Malian schlug die Hände zusammen. » Der Armreif ist eine Brücke zwischen Raum und Zeit! Das muss es sein! «
Sie zog den Armreif wieder über ihr Handgelenk, sodass er nicht von der Decke verhüllt wurde. » Wenn ich ihn dazu bringen kann. Am besten fange ich mit der Treppe an und warte ab, was passiert. «
Die Krähe schwieg, grub jedoch ihre Krallen tiefer in Malians Schulter, so als wolle sie noch eine Weile bei ihr bleiben. Malian freute sich über ihre Gesellschaft, denn sie spürte immer noch den Druck der unsichtbaren Augen, als sie den Schutz des Torbogens verließ. Sie spürte außerdem den schneidenden Wind, als sie vorsichtig durch das Gestrüpp und die herabgefallenen Steine ging, die sie schon am Nachmittag vor Herausforderungen gestellt hatten. Trotz des Silberlichts, das von dem Armring ausging, stolperte sie einige Male, schürfte sich Schienbeine und Knie auf. Sie konnte die Decke nicht mehr festhalten, also knotete sie die Enden vor der Brust zusammen, was ihren Kopf und die Arme der schneidenden Kälte aussetzte.
» Ich hoffe, du hast es bequem « , sagte sie zu der Krähe, die sich unter ihre Haare geflüchtet hatte.
Schließlich stolperte sie über die erste abgebrochene Stufe und schürfte sich Hände und Schienbeine auf. Sie wischte sich die Tränen ab, und als ihr Blick sich klärte, sah sie die Treppe, die sich nach oben am Turm entlangwand. Das silberne Feuer tanzte ebenfalls nach oben. Malian folgte ihm langsam und hielt sich dabei mit der linken Hand an der Turmwand fest. Sie hielt den Kopf gesenkt und versuchte, mit den Augen ihres Verstandes zu sehen und nicht mit denen ihres Körpers, die immer noch tränten. Es fiel ihr jedoch schwer, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen, während sie gegen den Wind kämpfte und versuchte, auf Stufen, die zerbrochen waren oder manchmal ganz fehlten, nicht den Halt zu verlieren.
Eine Weile kletterte Malian auf diese Weise nach oben, bis sie zu glauben begann, dass sie bereits zu lange unterwegs war, wenn man die Höhe der Turmruine bedachte. Sie hielt an, hob den Kopf und sah, dass die Spirale aus Silberlicht beständig, aber kaum merklich breiter geworden war, denn sie bestand nicht mehr nur aus einem dünnen Faden, sondern war zu einem Seil geworden, das die Treppe wie ein Geländer umgab. Malian griff mit der rechten Hand danach und stieß erleichtert den Atem aus, als es sich unter ihren Fingern stabil anfühlte. Ihre Füße schienen leichter zu werden, und schon bald schwebte sie die Stufen hinauf und musste nicht mehr klettern. Einige Zeit später erkannte sie, dass ihr nicht mehr kalt war. Sie nahm allen Mut zusammen und öffnete ihren Geist.
Das Geländer schraubte sich immer noch nach oben, aber die Treppe, die sie erklomm, bestand aus Dunkelheit und Silberlicht und nicht aus
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