Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Lowe
Vom Netzwerk:
Stein. Der sternenklare Himmel drehte sich um sie. Als sie nach unten blickte, sah sie nichts außer Nacht, sogar der Schnee auf den Hügeln war verschwunden. Über der Turmspitze hing ein weißer, leuchtender Vollmond. Malian runzelte die Stirn, als sie sich daran erinnerte, dass der Mond über Jaransor nur zu einem Viertel voll gewesen war.
    » Wo bin ich? « , flüsterte sie.
    » Fern der Zeit « , antwortete die Krähe unmittelbar neben ihrem Ohr. Ihre krächzende Stimme ging in der gewaltigen Dunkelheit beinahe unter, trotzdem erschrak Malian.
    » Du musst lernen, bei diesem Übergang dein Geistesauge vollständig zu öffnen « , fügte der Vogel hinzu, als sie nicht antwortete.
    Malian wusste nicht, ob ihr die Aussicht, regelmäßig Raum und Zeit zu durchqueren, so wie es die Krähe zu erwarten schien, gefiel. Sie verdrehte den Hals, um die Turmspitze genauer betrachten zu können, und sah halbrunde Fenster und geschwungene Dachüberhänge. Die glatte Mauer des Turms reichte empor bis zu einer schmalen Spitze, die nach dem Mond zu stechen schien.
    » Es ist noch weit « , sagte sie und fragte sich, wie schnell die Zeit wohl auf dem Hügel in Jaransor verging.
    » Nicht für dich « , sagte die Krähe, » außer du möchtest jede Stufe erklimmen. «
    » Was? « Malian war verwirrt.
    » Du hast dich selbst aus der Zeit genommen « , antwortete die Krähe. » Denk an den Armreif und an das, was er dir gesagt hat. «
    » Ich wandle durch Welten und Zeit « , sagte Malian langsam. » Aber wie kann ich das tun, wenn ich mich bereits außerhalb der Zeit aufhalte? Ich weiß, dass ich in der Alten Burg ein Portal geöffnet habe, aber das war etwas anderes. Dort gehörte ich zur temporalen Welt. «
    Die Krähe flatterte mit den Flügeln. » Wer hat denn etwas von Portalen gesagt? Ging es hier je um etwas anderes als um dich und deinen Willen und um den Armreif, der diesen Willen ausführt? Du hast die Wahl, Kind. Du kannst weiter darauf beharren, die drei zu sehen – dich, den Armreif und den Turm –, oder alles noch einmal mit deinem Geistauge betrachten und … etwas anderes sehen. «
    » Die Einheit aller Dinge « , murmelte Malian. Ihre Stimme wurde zu einem Seufzer, und die Flamme von Yorindesarinen flackerte in ihrem Geist, sodass sie sich nicht sicher sein konnte, ob sie gesprochen hatte oder ob sich die Heldin ihrer Stimme bedient hatte.
    » Bist du nicht die Eine? « , fragte die Krähe. Ihre Stimme klang verträumt. » Lange vor den Wachtürmen, vor den Königreichen und den Wahrsagern, die die langsame Reise der Sterne beobachteten, gab es bereits Macht auf diesem Hügel. In den Legenden heißt es, dass die Erbauer des Turms die Symbole dieser Macht in seinen Stein meißelten, sowohl am Boden als auch an seiner Spitze. «
    » Die Jagd « , sagte Malian nachdenklich. » Ein Falke flog darüber – oder war es eine Krähe? «
    Die Krähe bewegte sich auf ihrer Schulter. Ihre Stimme wurde noch leiser. » Wir sind in Jaransor. Diese Hügel haben schon immer unter dem Schatten der Falkenflügel gelegen. «
    Malian hielt sich an dem Strick aus silbernem Feuer fest und schloss die Augen. Sie stellte sich die Jagd vor und den Falken, so wie sie über dem Torbogen abgebildet waren. Der Stein war mit der Zeit verwittert, trotzdem sah sie die Einzelheiten der eingemeißelten Figuren klar in ihrem Geist. Da waren das fliehende Reh, die Hundemeute, die sie hetzte, und die Jäger dicht dahinter. Malian konzentrierte sich. Sie sah die Zunge des Hundes und den Schaum, der auf die Flanke des Rehs spritzte. Sie bemerkte die Krümmung eines Horns, das zum Himmel gehoben wurde. Umhänge wehten um die Schultern der Jäger, und ein Mann schützte seine Augen mit einer Hand vor dem Sonnenlicht. Sie wusste, dass die Farben aus ihrer Erinnerung an den Wandteppich in der rotweißen Suite stammten, aber das Feuer und die Stärke des Falken, der über allem dahinglitt, seine gewaltige Flügelspannweite, hatte sie dem behauenen Stein entnommen.
    Malian seufzte und öffnete die Augen. Die Stufen und das silberne Geländer waren verschwunden. Sie stand auf einem Mosaik in der Mitte einer Steinkammer, ihre Füße berührten die Schwingen des Falken. Weißes, helles Mondlicht fiel durch die halbrunden Fenster ins Innere.
    » Gut gemacht! « , sagte die Krähe.
    » Welches ist der echte Turm? « , fragte Malian, » und welcher sein Schatten? Dieser hier oder der in Jaransor? «
    Sie spürte, wie die Krähe den Kopf zur Seite neigte, auch

Weitere Kostenlose Bücher