Die Erbin
fluchen wie ein Fischer im Hafen von Piräus. Das konnte Lyda nicht. Aber sie konnte trotzig sein und aus Trotz reagieren. Das war viel gefährlicher.
»Das ›George V.‹ ist kaum der geeignete Ort, um mit einem Sowjetrussen Geschäfte abzuschließen.«
»Weil es zu vornehm ist? Spucken Russen auf den Teppich?«
»Lyda! Sie kennen Lobow nicht.«
»Sie etwa?«
»Er kann wie ein Junge lachen. Natürlich kann er alt und krumm sein.«
»Ich will nicht ihn kaufen, sondern seine Fracht! Zwei Jahre für neun Schiffe – das ist doch wohl ein Diner im ›George V.‹ wert?« Sie erhob sich und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Zum Friseur muß ich auch noch. Kostas, lassen Sie Maître Julien kommen. Er muß mir die Haare schneiden.«
»Darf ich Sie ins ›George V.‹ begleiten, Lyda?« fragte Kostas Portales, als nähme er einen letzten Anlauf.
»Nein.« Sie ging zur Tür. Das Baumwollkleid umspielte ihre etwas zu starken Beine. Auch die Hüften hatten angesetzt. Für ihr Alter war sie etwas zu fleischig geraten. »Haben Sie Angst vor Russen, Kostas?«
»Ich bitte Sie, Lyda, seien Sie besonders vorsichtig!«
»Warum behandelt ihr mich immer noch wie ein Kind?« Sie blitzte Kostas aus ihren großen, dunklen Augen böse an. »Ich bin die Tochter von Stavros Penopoulos! Wenn mein Vater die Russen nicht mochte, dann mag ich sie auch nicht! Genügt das endlich?«
»Wir vertrauen Ihnen, Lyda«, sagte Kostas und nahm die Mappe wieder an sich.
Lobow hatte sich feingemacht.
Daß er keinen Smoking besaß, war natürlich gelogen. Wer im Staatsauftrag an exponierter Stelle im westlichen Ausland arbeitet, führt selbstverständlich alle Attribute bei sich, die für den Umgang in jenen Kreisen unerläßlich sind. Im Panzerschrank seines Büros befand sich ein dickes Dossier über Lyda Penopoulos. Peinlich genau geführt, von ihrer Geburt bis zu ihrer zweiten Ehe. Die ganze Familiengeschichte des Milliardärs war hier zusammengetragen – von den ersten Handelsgeschäften des kleinen, schmächtigen Griechenjungen in den Slums von New York bis zu seinem Tode, dem letzten Akt einer griechischen Tragödie, die sich vor den Augen der ganzen Welt abspielte. Ein Drama, dem jeder fassungslos gegenüberstand. Nicht ein Schauspiel voller Zufälle, sondern eine Tragödie, der man einen Regisseur anmerkte. Ein unsichtbarer Regisseur, den die Menschen Schicksal nannten.
Lobow wußte es besser. Er nannte das Schicksal Tichon Pawlowitsch Pujatkin.
Für den Abend im ›George V.‹ hatte sich Lobow in einen blauen Anzug geworfen. Auf dem schlichten weißen Hemd trug er eine dunkelrote Krawatte. Sein blondes Haar hatte er gestutzt und um einen Linksscheitel bereichert. Ein weißes Ziertaschentuch leuchtete aus der Schlitztasche des Jacketts.
Er war schon vor neun Uhr in der Hotelhalle, saß in einem der tiefen Gobelinsessel und bewunderte den echten Degas, der an der Wand hing. Punkt neun Uhr fuhr der Rolls-Royce der Penopoulos' vor. Der Hotelportier stürzte auf ihn zu und riß den Wagenschlag weit auf.
Lobow erhob sich. Er wußte, daß jetzt, im gleichen Augenblick, Oberst Pujatkin auf seine Uhr blicken und sehr zufrieden sein würde.
Der Einbruch in das Weltreich der Penopoulos' konnte beginnen. Die Erbin kam zu ihm.
Lobow ging ihr entgegen, als sie die Halle betrat und sich umblickte, suchend, kühl, distanziert.
»Madame …«
Lyda warf den Kopf in den Nacken und musterte ihn. Blonde Haare, eine gut gewölbte Stirn, blaue, etwas verträumte Augen, die jede Frau sofort neugierig machten, eine gute Nase, weiche, aber doch energische Lippen. Ein durchaus europäischer Kopf mit etwas hoch angesetzten Backenknochen. Das Erbe der kaukasischen Mutter.
» Sie sind Lobow?« fragte sie erstaunt. »Ich habe Sie mir ganz anders vorgestellt.«
»Nicht alle Russen sind sibirische Pelzjäger, Madame.«
»So habe ich das nicht gemeint.« Sie lachte. Ihr Mund wurde groß, die Zähne leuchteten. Ja, das ist sie, dachte Lobow. Genau wie auf den Bildern. Keine umwerfende Schönheit, aber eine Persönlichkeit.
»Sie sind wirklich so jung wie Ihre Stimme«, sagte Lyda.
»Aber schon achtunddreißig.«
»Das ist doch jung – nicht nur für einen Mann in Ihrer Stellung! Meine Direktoren könnten meine Großväter sein!« Sie blickte sich um. Zwei Boys rannten herbei und nahmen ihr den Nerzmantel ab. Der Chef de salle, an der Tür zum Restaurant, im maßgeschneiderten Smoking, mit pomadisiertem Haar, verbeugte sich, als Lyda ihn
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