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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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Schiebetür. Weil wir wußten, daß wir überwiegend mit den von Nordost kommenden Sommerwinden rechnen mußten, beschlossen wir, die an der entgegengesetzten, windgeschützten Seite befindliche Schiebetür zu verwenden und die Rampe von neuem dort aufzustellen. Später zeigte sich, daß auch das keine allzu glückliche Lösung war.
    Aus den Meldungen der Erdzentrale fühlten wir Beunruhigung und Ungeduld heraus. Offensichtlich erschien ihnen der Bau der Basis entgegen dem Plan als zu langwierig. Unsere
    Berichte über den Gesundheitszustand der Besatzung bereiteten ihnen bestimmt auch alles andere als Freude. Vielleicht verdächtigte man uns sogar, daß wir den wahren Stand der Expedition verheimlichten. Aufrichtig gesagt, eine Sache verheimlichten wir: den Gesundheitszustand des Kapitäns Norton, und zwar aufgrund seiner eigenen strengen Weisung. Alle Männer hatten gleichsam Verständnis für die Denkungsweise des Kapitäns und respektierten diese Haltung. Obwohl sein mageres Gesicht mit den eingefallenen Augen alles andere erweckte als Ruhe und Heiterkeit, unterließ die Mannschaft keine Gelegenheit, um zu scherzen. Und ich hatte den Eindruck, der Kapitän freute sich darüber, daß die Expedition seine Einstellung so vorbehaltlos respektierte. Sein Gesicht, das durch seine Magerkeit einen asketischen Ausdruck annahm, wurde in solchen Augenblicken irgendwie weich, fast möchte ich sagen, daß etwas Knabenhaftes in ihm aufblitzte, eine verborgene Scheu oder schwer auszusprechender Dank. Der einzige Mann, vor dem Nortons Gesicht nie einen solchen Ausdruck zeigte, war O'Brien. Er war zu ihm höflich, aber kühl. Natürlich war ich nicht der einzige, der das merkte. Wie ich später erfuhr, sprachen die Männer untereinander viel darüber. Aber heimlich. Es war kein Klatsch, eher Besorgnis. Die Zeit war wie ein ins Unbekannte fließender Strom. Ein Strom voller heimtückischer Strudel. Wir wußten, daß uns schwere Prüfungen bevorstanden. Deshalb sah ich den Gesundheitszustand des Kapitäns in den schwärzesten Farben. Oft überfiel mich fast Verzweiflung über die eigene Ohnmacht und Zweifel an die medizinische Wissenschaft. Einmal, als Watts und ich wieder die Situation überdachten, sagte Watts: »Vielleicht ist die Ursache etwas ganz Geringes, eine gewöhnliche Dummheit. Ich dachte schon daran, daß es ein Zahn sein könnte. Verstehst du? Eine gewöhnliche Infektion unter Mars-Bedingungen im Organismus, der durch die Schwerelosigkeit entsprechend zubereitet ist.«
    Ich sah ihn erst eine Weile verständnislos an. Aber dann begannen mir langsam verschiedene Zusammenhänge klarzuwerden.
    »Ein genialer Einfall ähnelt doch manchmal einem völligen Blödsinn«, bemerkte Watts.
    Wir gingen sofort zum Kapitän, und da stand uns eine überraschende Enthüllung bevor. Der Kapitän gestand, daß er sich selbst vor einiger Zeit mit einer vom Radiotechniker Jenkins geliehenen Zange einen schmerzenden Zahn herausgedreht hatte. Auf Watts' erstaunte Frage, warum er den Zahn selbst gezogen habe, antwortete der Kapitän: »Ich wollte mir beweisen, daß ich eine solche Kleinigkeit alleine fertigbringe. Später schämte ich mich, davon zu sprechen. Niemand sollte meinen, daß ich Angst vor Schmerzen gehabt hätte.« Watts war sprachlos. Erst nach einer Weile begann er: »Kapitän, mit Rücksicht auf Ihre Stellung kann ich mir leider nur erlauben, Ihre Handlungsweise als unglaublich naiv zu bezeichnen.«
    Dann untersuchten wir gründlich die Mundhöhle des Patienten. Wir befürchteten, daß die Infektion so weit vorgedrungen war, daß ein chirurgischer Eingriff unter den gegebenen Umständen nicht mehr durchführbar gewesen wäre. Nach einigen Tagen intensiver ärztlicher Behandlung besserte sich der Zustand des Kapitäns Norton. Als ich mit Watts allein war, fragte er mich: »Glaubst du noch immer, daß der Mensch die Bezeichnung Homo sapiens verdient?« Watts konnte nicht begreifen, warum der Kapitän lieber schreckliche Schmerzen ertrug und sich einer Lebensgefahr aussetzte, als seinen Fehler zu bekennen. Ich erwiderte Watts: »Du irrst dich, Allan, du denkst zu primitiv. Der Kapitän machte keinen Fehler. Er führte sich und uns die Kraft seines Willens vor.«
    »Seine Willenskraft auf solche Weise vorzuführen, ist ein Unsinn«, antwortete Watts empört.
    »Du hast doch selbst gesagt, daß ein genialer Einfall manchmal einem Unsinn ähnelt.«
    Watts lachte. »Mit dir will ich mich auf diesem Gebiet nicht streiten - aber warte,

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