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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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nach. Die Natur hat eine unglaubliche Vorliebe für Zufälligkeiten, denen die menschliche Phantasie besondere Bedeutung zumißt: Die hinter dem Kopf des Kapitäns hängende Sonne umgibt die dunkle Silhouette seiner Gestalt mit schimmerndem Glanz.
    Die erste Stunde Fahrt verläuft ungewöhnlich gut. Außer kleinen Schwierigkeiten mit den überladenen Anhängern geschieht nichts Besonderes. Die Erfahrungen aus den Probe- und Erkundungsfahrten in der Umgebung der Basis sind sehr wertvoll. Bisher sind wir nicht einmal im Staub steckengeblieben. Auch die Taktik, daß eine der Eidechsen den Weg an der Spitze der Kolonne sondiert und versucht, auf dem gröberen, dunklen Sand oder auf der weniger verwehten Felsenunterlage zu fahren, bewährt sich ebenfalls. Ich sitze als zweiter Fahrer auf der Grünen Eidechse und löse mich in Abständen von einer Stunde mit Williams im Lenken ab. Alles geht genau nach Plan; vorn eine Eidechse mit Anhänger und hinter ihr die Astra mit dem großen Anhänger und hinten die zweite Eidechse mit Anhänger. Die Eidechsen übernehmen nach je zwei Stunden abwechselnd die Führung. Alles scheint in bester Ordnung zu sein: die Einhältung des Marschplans, des Zeitplans und der Richtung.Nach zweieinhalb Stunden Fahrt zerreißt ein Sicherheitsseil am großen Anhänger, so daß sich ein Teil der Ladung lockert und vom Anhänger herunterrutscht. O'Brien forscht nach, wer das Seil befestigt hat. Es melden sich Sheldon und Radcliff. Noch nie habe ich vom Stellvertreter des Kapitäns so scharfe Worte gehört. Da fällt mir ein, wie sehr ihn alles aufregt, was sein Lebensziel bedroht, das darin besteht, mit eigener Hand Spuren des Lebens auf dem Mars zu berühren. Weil wir feststellen, daß sich das Seil an gelockerten Fässern zerwetzt hat, bleibt uns nichts anderes übrig, als die ganze Ladung umzuladen. Diese Arbeit kostet uns mehr als zwei Stunden Zeit und so viel Kraft, daß wir eine weitere Stunde zur Erholung des Herzens und der Lunge opfern müssen. O'Brien ist durch diesen Zwischenfall sehr gereizt. Ich stelle mir im Geist die Frage, ob alle meine psychologischen Kenntnisse über die einzelnen Expeditionsmitglieder nicht bloßer Schein oder Selbsttäuschung sind. Genügt zu seelischen Wandlungen im Menschen eine Veränderung der materiellen Elemente? Wird der Mensch deshalb besser oder schlechter, weil sein Körper mehr Salz oder Säure enthält, weniger Sauerstoff oder Kohlensauerstoff, mehr Licht oder Dunkelheit hat? Mich erregt schon lange der Gedanke, daß die Wissenschaft einmal die menschlichen Charaktere korrigieren könnte. Und es graut mir davor, daß sie sie nach ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit korrigieren wird.
    Das ausgezeichnete Wetter hält bis nach dem Mittag an. Die von der fast senkrecht über uns stehenden Sonne beleuchtete Wüste strahlt in goldenen Tönen und kontrastiert hart mit der samtenen Tiefe des dunklen Firmaments. Eine eintönige, aber herrliche Wüste, so herrlich wie das einförmige Meer! Eine Wüste, erhoben zu erschreckender, unbeweglicher Monumentalität. Nicht der geringste Luftzug berührt die Staubwellen . . . Die brutale Kraft der Maschinen kennt jedoch keine erregenden Emotionen; sie dreht die Zahnräder und wälzt sich rücksichtslos nach vorn, zermalmt schamlos Milliarden Jahre alte Reliquien, verwandelt sie in bedeutungsloses Steingeröll und verschüttet sie mit Staub, diesem Symbol der Vergänglichkeit.
    Der Staub ist eine Realität. Unser Erzfeind. Er wälzt sich unter den Raupen der Schlepper hervor wie häßlicher Rauch, verschleiert die Sicht und bedeckt Maschinen und Menschen. In vielen Millionen Jahren, in ungewöhnlich trockener Atmosphäre vom Winde zermahlen, ist er so fein, daß ein Stein in seinen Anwehungen wie in Wasser versinkt. Ein tückischer, hinter jeder Düne lauernder Feind, der zwei Unannehmlichkeiten dieses Nachmittags auf dem Gewissen hat. Als die Grüne Eidechse an der Spitze der Kolonne in einer Staubdüne steckenbleibt, hat der Fahrer der Astra nicht genügend Abstand und fährt im Staubnebel auf den Anhänger der Eidechse auf. Der Konvoi hält an, und wir stellen den Umfang des Schadens fest. Der Hinterteil des Anhängers ist demoliert, ein Teil der Ladung abgeworfen und zwei Kistchen mit Proviant zertrümmert und von den schweren Raupen in den Sand gedrückt. Der Anhänger ist zum Glück fahrfähig.
    Nach diesem Unfall wird der Abstand zwischen den Fahrzeugen verdoppelt. Nicht lange danach ertönt in den Kopfhörern der

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