Die Erde ist nah
Befehl zum Anhalten; Sheldon meldet einen Motordefekt der Astra. Wir erschrecken. Bedeutet das das Ende der Expedition? Schweigend versammeln wir uns um Sheldon, der den Luftfilter des Kühlsystems abmontiert. O'Brien steigt gar nicht aus der Kabine. Ich kann mir vorstellen, in welcher Verfassung er sein mag. Sheldon erklän, daß das rote, die Betriebstemperatur des Motors kontrollierende Licht zu blinken begann. Minuten unerträglicher Spannung vergehen endlos langsam. Als Sheldon die Einlage des abmontierten Filters herausnimmt und schüttelt, raucht es wie aus einem Mehlsack. Wir atmen erleichtert auf. Vielleicht war wirklich nur der verstopfte Filter die Ursache des heißgelaufenen Motors. Sheldon nimmt eine neue Einlage, und wir setzen die Fahrt fort, nervös und auf eine neue Schwierigkeit wartend.
Die feurig rote Sonne taucht in den violetten Nebel über dem Horizont. Wir stehen neben den Schleppern am Rande eines großen Kraters und beobachten schweigend das ergreifende und ewig erregende Schauspiel, das die Sonne in Milliarden Wiederholungen auf den Drehbühnen ihrer Planeten wiederholt.
Wir sind müde. Unsere Aufnahmefähigkeit ist gelähmt. Wir sehnen uns verzweifelt nach Schlaf. Einer nach dem anderen kriechen wir in die Umkleidekabine der Astra, um die schweren Raumanzüge abzulegen. Die Etappe muß jedoch durch die genaue Ortsbestimmung mit Hilfe des Radiomastes abgeschlossen werden. O'Brien zeichnet die abgemessene Schnittlinie in die Karte ein. Der Berechnung nach haben wir sechsundfünfzig Kilometer zurückgelegt. O'Brien mißt auf der Karte die Entfernung in Luftlinie von der Basis: Fünfundzwanzig Kilometer. Das ist war fast das Doppelte des vorausgesetzten Durchschnitts, doch auf der Karte nur ein winziges
Stückchen. Das Suchen nach befahrbarem Gelände verlängert die Strecke wesentlich. Ich sehe, wie O'Brien die Entfernung absticht, und kann mir vorstellen, wie die Expedition vorwärts kommen wird, wenn sich das Wetter verschlechten . . . O'Brien ruft die Basis und meldet kurz den Verlauf der Etappe. Ich sitze ohne Raumanzug in der klimatisierten Astra-Kabine und höre die Stimme O'Briens nur undeutlich, obwohl er nur einen Meter von mir entfernt am Radiogerät sitzt. Ich habe die unklare Vorstellung, daß ich noch einige ärztliche Pflichten zu erfüllen habe, aber ich weiß nicht mehr, welche. Mir ist alles egal. Ich will nur schlafen, schlafen. Ich rüttle meinen Willen wach, doch es gelingt mir nur, mich soweit zu konzentrieren, daß ich die Stimme neben mir verstehe: O'Brien spricht mit Morphy auf der Basis über das Wetter. Alles ist mir egal, und ich falle in einen tiefen Schlaf. . .
Vor Mitternacht erwache ich, feucht von Schweiß. Ich habe das Gefühl, daß es in der Kabine mit den zehn schlafenden Männern maßlos schwül ist. Für einen Augenblick denke ich an ein geöffnetes Fenster, durch das wohlige Nachtluft einströmt. Doch der Sehschlitz mit dem Panzerglas nahe bei meinem Kopf ruft mich sofort in die Wirklichkeit zurück. Durch das Glas sehe ich die Wüste, beleuchtet vom schwach-silbernen, perlmutternen Licht der Marsnacht. Ich versuche den romantischen Genuß des zur Wirklichkeit gewordenen Traums auszukosten, doch dauernd drängt sich der Gedanke auf, daß vielleicht das Sauerstoffregenerationsgerät nicht funktioniert. In dem Fall müßte ich aber akustische Signale hören. Vielleicht versagen auch die. Vielleicht unterlief mir ein Fehler in der Verabreichung der pharmazeutischen Dosen. Vielleicht - alles ist vielleicht. Und alles ist mir gleichgültig. Ich falle wieder in Schlaf, wie in ein bodenloses Loch.
17
Am Morgen scheint grell die Sonne. Beim Frühstück entschuldigt sich O'Brien bei Sheldon und Radcliff wegen des gestrigen Zwischenfalls. Die beiden wissen nicht recht, was sie davon halten sollen. Aufrichtig gesagt, erkennen sie ihren Teil der Schuld an dem Unfall an und wollen sich nicht der Verantwortung entziehen. Dem Expeditionsleiter geht es jedoch um etwas ganz anderes. Wenn ich ihn richtig verstehe, will er keine Befehlsmethoden anwenden, die er selbst als schlecht verurteilt. O'Brien ist wieder ausgeglichen und liebenswürdig, mehr streng zu sich selbst als zu andern, kurz und gut, sein Gesicht stimmt wieder mit dem Porträt überein, das ich mir vor Zeiten von ihm gebildet habe. Zu meiner eigenen Überraschung stelle ich jedoch fest, daß etwas an diesem Porträt nicht stimmt. Ich weiß nicht, woran das liegt. Ich habe den Eindruck, als sähe
Weitere Kostenlose Bücher