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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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Gedanken, daß die Expedition meinetwegen umkehren muß, könnte ich nicht ertragen . . .«
    O'Brien beugte sich über ihn und sagte leise: »Henry, Sie ahnen nicht, wie dankbar ich Ihnen für fünf Tage Geduld wäre, vielleicht nur für vier oder sogar nur für drei. . .« »Ich sage Ihnen doch, fahren Sie weiter«, wiederholte Williams mit fester Stimme. »Fahren Sie weiter. Und immer nach Süden . . .«
    Gegen Mittag wurde die Windstärke etwas schwächer. O'Brien rief die Basis an. Er meldete dem Kapitän die Änderung und daß wir auf Williams' Wunsch die Fahrt fortsetzen wollten. Der Kapitän war empört und erklärte, daß Williams darüber nicht zu entscheiden habe. Er forderte O'Brien auf, am jetzigen Ort noch vierundzwanzig Stunden zu warten, um zu sehen, ob sich das Wetter bessere, damit die Libelle fliegen könne.
    O'Brien bezeichnete das als einen sinnlosen Zeitverlust. Für die Libelle spiele ein um dreißig oder vierzig Kilometer längerer Flug keine wesentliche Rolle.
    Der Kapitän war empört über die Unnachgiebigkeit O'Briens und nannte seinen Stellvertreter einen ehrgeizigen Streber. »Ich bin nicht ehrgeizig«, antwortete O'Brien wütend. »Solange Sie die ganze Angelegenheit so betrachten, begreifen Sie überhaupt nichts.«
    Dann unterbrach er die Verbindung und befahl der Besatzung, sich marschbereit zu machen. Nach einer Stunde brachen wir auf. Nach Süden. Zum erstenmal weigerte sich O'Brien offensichtlich, der Entscheidung des Kapitäns zu folgen.
    Wie nach der Karte zu erwarten war, änderte sich die Beschaffenheit des Bodens. Anstelle von Staubdünen knirschte jetzt grobes Felsgestein unter den Raupen der Schlepper. Die Sicht war bis zum Abend schlecht, so daß wir uns vom Aussehen der umliegenden Landschaft kein rechtes Bild machen konnten. Um so mehr überraschte uns der Blick in die neblige Ferne. Am südöstlichen Horizont leuchtete grell der rostfarbene Kamm eines niedrigen Hügellandes. Wenn das Wetter bliebe, könnten wir in zwei Tagen das Ziel erreichen. Bis zu den Mittagsstunden kam die Kolonne ohne Schwierigkeiten vorwärts. Keine Staubdünen, nur grober Boden mit Kratern, denen die Fahrzeuge ausweichen mußten. Die Stimmung hätte ausgezeichnet sein können, wäre nicht Williams auf seinem Lager in der schwankenden Kabine gewesen. Sein Zustand war bedenklich. Er hatte Fieber und schreckliche Schmerzen.
    Als ich in der Mittagspause den blutdurchtränkten Verband wechselte, erschrak ich, wie sehr die Hand angeschwollen war. Die blauen Blutergüsse waren stellenweise schwarz. Sofort konsultierte ich Watts auf der Basis. Der riet mir, die Situation gut zu überdenken und eventuell nicht zu zögern, den Rest des Daumens zu amputieren.
    Die Kolonne blieb dadurch selbstverständlich bis zum Abend auf der Stelle. Abends forderte der Kapitän O'Brien von neuem zur Rückkehr auf. Mir fiel auf, wie er bemüht war, die Aufforderung nicht wie einen Befehl zu formulieren. Vielleicht deshalb, um seine Autorität vor einer Demütigung zu bewahren, falls O'Brien nicht gehorchte, oder deshalb, um O'Brien vor den Folgen einer Gehorsamsverweigerung zu bewahren; O'Brien erklärte, daß er nicht die übermenschliche Anstrengung der ganzen Expedition zunichte machen und einige Kilometer vor dem Ziel aufgeben könne. Er betonte auch seine Verantwortung für die wissenschaftliche Expedition. Und was Williams betraf, verlangte er vom Kapitän die Entsendung der Libelle. Der Kapitän lehnte begreiflicherweise bei dem nebligen Wetter den weiten Flug ohne funktionierendes Navigationsgerät ab. - Es war ein peinliches Gespräch, und ich war froh, als Williemas in tiefen Schlaf fiel und nichts mehr davon hörte.
    Am Morgen fühlte sich Williams wesentlich besser. Auch die Geschwulst war zurückgegangen, und so setzten wir die Fahrt fort. Weil sich inzwischen das Wetter aufgeheitert hatte, dachte ich unentwegt an die Libelle und hielt die Vorsicht des Kapitäns für übertrieben.
    In der dünnen Atmosphäre schien das niedrige Hügelland in Reichweite zu liegen. Die von Korrasion zerfurchten rotbraunen Felsen ragten aus den Schutthängen empor wie die Schutzwälle einer antiken Stadt. Mit Besorgnis verfolgten wir, ob uns dieses absolut unbefahrbare Gebilde, das wir Barriere benannten, nicht den Weg zu Sinus Sabaeus abschnitt.
    Nach der Karte sollten wir in eine kreisförmige, seichte Vertiefung kommen, die den Kamm des Hügellandes in zwei Hälften teilt. Gegen Mittag sahen wir die Mulde wirklich vor uns. Doch

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