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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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»Wir können nicht in Hysterie verfallen. Jeder von uns muß sich dessen bewußt sein, daß wir aus diesem Sack allein herauskriechen müssen. Ich bin dafür, die Situation nicht in die Basis zu melden. Jeder Versuch, uns zu helfen, wäre ein zweckloses Risiko.«
    Niemand zweifelte daran, daß unsere Gefährten von der Basis auch gegen unseren Willen zu Hilfe kommen würden - deshalb stimmten wir alle mit O'Brien überein. Es blieben uns also hundert Stunden Hoffnung. Jede Minute hatte jetzt unschätzbaren Wert. Beunruhigend war die Vorstellung, daß mit jeder Minute die Decke unseres Gefängnisses dichter wurde. In Augenblicken, in denen die Zeit so rasch wie das Wasser aus einer durchbrochenen Talsperre davonläuft, ist es schwer, kaltblütig zu überlegen. Wie war es möglich, daß wir uns erst jetzt einen sehr wichtigen Umstand vergegenwärtigten? Wir hörten nämlich das Heulen des Windes, die Astra konnte also nicht völlig verschüttet sein. Von neuem versuchten wir, die Schiebetür zu bewegen. McKinley und Sheldon schlossen sich in die Austrittskabine ein und wollten den Eingang durch Abklopfen frei machen. Dann montierten sie einen der Klappsitze ab und schlugen damit gegen die Tür. In dem Augenblick, als wir überlegten, ob wir die Luke in der Decke abschrauben sollten, auch auf die Gefahr hin, daß wir die Luftdichtigkeit der Kabine aufs Spiel setzten, hörten wir aus der Überdruckkabine einen Schrei, der sogar das Heulen des Windes übertönte! Die Tür hatte sich bewegt! Am Morgen war der Eingang frei.
    Den ganzen folgenden Tag, der nur der Zeit nach ein Tag war, denn er war nur wenig heller als die Nacht, schaufelten wir bei andauerndem Sturm den Staub vom Eingang zur Astra weg. Obwohl wir an Sicherungsseilen befestigt waren, drohte dauernd die Gefahr, daß jemand von uns erschöpft zusammensank und vom Staub verschüttet wurde. Wir lösten uns in zwei Gruppen ab und waren in ständiger Radioverbindung. Um eine genaue Kontrolle zu ermöglichen, mußten wir uns immer wieder auf Anruf mit unserem Namen melden. Gegen Mittag reagierten wir nur noch langsam auf die Aufrufe. O'Brien mußte meinen Namen mehrmals rufen, ehe ich begriff, daß ich antworten sollte. Es kostete mich viel Anstrengung. Ich hatte den fast unüberwindlichen Wunsch, mich auf den Boden zu legen, mich einer wonnigen Bewegungslosigkeit hinzugeben und zu schlafen.
    Aus der dumpfen Schlaffheit rüttelte uns Alarm. McKinley meldete sich nicht. War er eingeschlafen, oder hatte er das Bewußtsein verloren? Wir tasteten uns am Sicherungsseil entlang und schrien ins Mikrophon - doch das Seil blieb verlassen, McKinley meldete sich nicht. Wie war es möglich, daß sich ein so erfahrenes Mitglied der Expedition bei diesem Wetter vom Sicherungsseil entfernte? Hatte er die Urteilsfähigkeit verloren? Systematisch durchsuchten wir das nächstliegende Gelände, doch alles Suchen in der Reichweite des Seils war vergeblich. Wir verlängerten das Seil. Uns quälte die Vorstellung, daß einige Meter von uns der Staubsturm seine erste menschliche Beute begräbt.
    Nach zwei Stunden verzweifelten Suchens fanden wir endlich McKinley: Er stand, zur Hälfte vom Staub zugeweht, mit dem Rücken gegen einen Felsblock gelehnt. Später erfuhren wir, wie es zu diesem Unfall gekommen war, der uns so viel Kraft kostete. McKinley hatte sich bei der Arbeit in das Sicherungsseil verwickelt. Um sich nicht umdrehen zu müssen, löste er den Haken und versuchte, das Seil von seinem Fuß zu schütteln. Dabei fiel er auf den Rücken. Er kroch im Staub umher und tastete nach dem Seil. Als er sich aufstellte, warf ihn ein Windstoß wieder zur Erde. In der Dunkelheit verlor er die Orientierung. Aus Angst, vom Staubsturm zugeweht zu werden, wollte er im Kreis gehen und hoffte, auf die Astra oder einen der kleinen Schlepper zu stoßen. Er rief um Hilfe, aber die Kopfhörer blieben taub; durch den Fall war die Radioverbindung beschädigt worden. Als ihn der Sturm und der Zufall zu dem Felsen drängten, tat er das Vernünftigste, was er tun konnte; er lehnte sich mit dem Rücken an den einzigen sicheren Punkt, den er hatte, und rührte sich nicht vom Fleck.
    Der Sturm wütet die ganze Nacht und überschüttet das Lager dauernd mit neuen Staubwellen. Nur mit Mühe halten wir den Eingang zur Kabine frei. Alles kommt uns wie ein schrecklicher und erschöpfender Traum vor, aus dem wir nicht erwachen können. Wir verlieren die Fähigkeit, zusammenhängend zu denken; es bleibt nur der

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