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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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Situation. Lawrenson hatte Lebensmittelvorräte und Wasser für fünf Tage bei sich. Im höchsten Notfall könnte er damit die doppelte Zeit auskommen. Doch der Sauerstoff konnte nicht länger als zehn
    Tage ausreichen, vorausgesetzt, daß es ihm gelungen war, ohne Unfall zu landen. Wir schätzten, daß im Augenblick der letzten aufgefangenen Meldung Lawrensons die Libelle ungefähr hundert Kilometer Luftlinie vom Lager entfernt sein konnte. Das war die Entfernung, die eindeutig hinter der Grenze unserer Möglichkeit lag, eine Rettungsexpedition mit zwei Schleppern zu unternehmen. Außerdem war die Hoffnung, die Libelle in der unübersichtlichen Wüste zu finden, genauso gering, als wollten wir in der Wüste eine verlorene Nadel suchen. Dafür aber würde die das Leben der elf Männer bereits bedrohende Gefahr noch vervielfältigt werden. Und das alles unter der Voraussetzung, daß Lawrenson das Versagen der Libelle nicht gleich mit dem Leben bezahlt hatte. Der Kapitän kalkulierte kaltblütig und hart, wie mit Ziffern bei einer Berechnung. Er bestimmte, daß wir zehn Tage, das war die Zeit für Lawrensons Sauerstoffvorrat, auf der Stelle warten würden.
    In die Basis meldeten wir, daß der Flug verschoben worden sei. O'Brien, der durch die Entwicklung der Ereignisse völlig das Gleichgewicht verloren hatte, beschuldigte den Kapitän der Feigheit. Er erklärte, daß er entschlossen sei, selbst eine Rettungsaktion von Freiwilligen zu führen. »Vielleicht bin ich feige«, erwiderte der Kapitän schroff. »Wie soll ich aber den bezeichnen, der sein eigenes, egoistisches Ziel hinter der Heldenmaske der Opferbereitschaft verbirgt? Ich weiß, daß es dir um nichts anderes geht, als weiter nach Süden zu kommen!«
    O'Brien bewahrte nur schwer wenigstens den Schein der Beherrschung. »Gut«, sagte er, »jetzt wissen wir, was wir voneinander zu halten haben. Wenn sich wenigstens vier Freiwillige melden, brechen wir morgen mit der Gelben Eidechse nach Süden auf.«
    Es meldeten sich McKinley, Waux, Thompson und, etwas unschlüssig, auch Briggs. Die Expedition zerfiel in zwei
    Gruppen. Ich bleib beim Kapitän. Nicht nach langer Erwägung über Recht und Unrecht, über Tapferkeit und Feigheit, Opferbereitschaft und wer weiß was noch. Ich hatte Angst, weiterzugehen. Alle Begeisterung war verschwunden, nur die Angst um das Leben war geblieben.
    Früh, bald nachdem sich der zarte Rauhreifschleier über den beleuchteten Hängen der Dünen verflüchtigt hatte, begab sich O'Briens Gruppe auf den Weg. Die Unausweichlichkeit dieser Lösung stumpfte die Schärfe des Zwistes so ab, daß sich alles ohne besondere Erregung abspielte. Der Kapitän versorgte die Gruppe mit genügend Vorräten und setzte mit O'Brien die Zeiten der Radioverbindungen fest. Wir sahen der Gruppe nach, bis die Gelbe Eidechse mit dem Anhänger hinter einer Geländewelle verschwand. Dann erstarrte alles in uns zu einer frostigen Unbeweglichkeit. Gegen Mittag bildete sich um die Sonne ein riesiger regenbogenfarbener Streifen, der allmählich an Intensität verlor, bis er gegen zwei Uhr nachmittags völlig verschwand. Das Barometer aber rührte sich nicht, und das grüne Licht der von Zeit zu Zeit abgeschossenen Leuchtraketen verbrannte zwecklos. Abends meldete sich O'Brien. Bei ausnahmsweise gutem Wetter hatte die Gelbe Eidechse eine beachdiche Strecke zurückgelegt. Ich habe den Eindruck, daß alle, die im Lager zurückgeblieben waren, ein beschämtes Gefühl hatten, und ich glaube, daß wir uns mit stillen, aber um so heftigeren Gewissensbissen zum Schlaf niederlegten.
    Vor Mitternacht erwachte ich mit einem sonderbaren Angstgefühl. Vielleicht funktionierte das Sauerstoffgerät nicht. Aber kaum hatte ich ein paarmal tief geatmet, war alles wieder vorbei. Ich weiß nicht, was mich geweckt hat. Irgendein alter, von den tierischen Urahnen ererbter Trieb, der jedes Lebewesen im Augenblick drohender Gefahr warnt. Da bemerkte ich, daß das Lager von einem eigentümlichen Licht überflutet war. Sand und Staub in der Umgebung des Lagers phosphoreszierten in einer Flut von bläulichen Funken. In meiner Verschlafenheit fiel mir ein, daß vielleicht Quarzkörnchen im Mondlicht glitzerten. Dann erst kam mir zu Bewußtsein, daß wir ja nicht auf der Erde waren und daß die beiden Marsmonde nur wie kleine Punkte am Horizont unter den Milliarden Sternen leuchteten. Der Kapitän und Sheldon waren auch aufgewacht; ich erkannte sie an ihren Nummern. Sie umkreisten wie zwei dunkle

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