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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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gleichsam ertränkt, fortgeschwemmt von dieser triefenden Finsternis; sein Kopf befahl nicht mehr, seine Beine fingen von allein, wie ein Tier fand er seinen Weg; und so kam es, daß er sich, ohne es gewollt zu haben, in Geierkopfs Küche wiedersah, deren Tür er eben aufgestoßen hatte.
    Geierkopf und Lise aßen gerade die Kohlsuppe vom Abend vorher auf. Er hatte bei dem Geräusch den Kopf gewendet, und er sah Fouan an, der schweigend und in seinen durchnäßten Kleidern dampfend dastand. Eine lange Zeit verstrich, schließlich sagte Geierkopf grinsend:
    »Ich wußte ja, daß Ihr keinen Schneid habt.«
    Verschlossen und erstarrt, machte der Alte nicht die Lippen auf, sprach kein Wort.
    »Los, Frau, gib ihm trotzdem sein Futter, da ihn der Hunger zurückführt.«
    Schon hatte sich Lise erhoben und einen Napf voll Suppe gebracht.
    Fouan aber nahm den Napf, setzte sich abseits auf einen Schemel, als lehne er es ab, sich mit seinen Kindern an einen Tisch zu setzen; und gierig schluckte er große Löffel voll Suppe. Sein ganzer Leib zitterte bei der Heftigkeit seines Hungers.
    Geierkopf beendete ohne Hast sein Abendessen, wiegte sich dabei auf seinem Stuhl, langte über den Tisch und pikte Käsestücke auf, die er von der Messerspitze aß. Die Gier des Alten beschäftigte ihn, er sah dem Löffel nach, er witzelte.
    »Hört mal, das scheint Euch Appetit gemacht zu haben, dieser Spaziergang in der frischen Luft. Aber Ihr dürft Euch das nicht alle Tage leisten, es würde zu teuer werden, Euch zu ernähren ...«
    Der Vater schluckte, schluckte, mit einem rauhen Geräusch der Kehle, ohne ein Wort.
    Und der Sohn redete weiter:
    »Ach, dieser Spaßkerl, der außer Haus schläft! Vielleicht hat er die Nutten besucht ... Das hat Euch wohl so ausgezehrt, he?«
    Noch keine Antwort, dasselbe starrköpfige Schweigen, nichts als das ungestüme Herunterschlingen der vollen Löffel, die er in sich hineinstürzte.
    »He, ich rede mit Euch«, schrie Geierkopf verärgert. »Ihr könntet mir schon die Höflichkeit erweisen, mir zu antworten.«
    Fouan hob nicht einmal seine starren und trüben Augen von der Suppe. Er schien weder zu hören noch zu sehen, hatte sich abgesondert, war meilenweit weg, als habe er sagen wollen, daß er nur zum Essen zurückgekommen sei, daß wohl sein Bauch, aber nicht mehr sein Herz da war. Nun kratzte er den Boden des Napfes mit dem Löffel tüchtig aus, um sich nichts von seiner Portion entgehen zu lassen.
    Gerührt von diesem großen Hunger, erlaubte sich Lise, sieht ins Mittel zu legen.
    »Laß ihn, wo er sich doch totstellen will.«
    »Es ist ja bloß, damit er nicht wieder anfängt, sich über mich lustig zu machen!« fuhr Geierkopf wütend fort. »Einmal, das mag durchgehen. Aber hört Ihr, verdammter Dickkopf? Laßt Euch die Geschichte von heute zur Lehre dienen! Wenn Ihr mich weiter anödet, lasse ich Euch auf der Landstraße verhungern!«
    Fouan, der fertig war, stand mühsam von seinem Stuhl auf, und immer noch stumm, kehrte er in diesem Grabesschweigen, das größer zu werden schien, den anderen den Rücken zu, schleppte sich unter die Treppe bis zu seinem Bett, auf das er sich völlig angezogen warf. Der Schlaf streckte ihn dort nieder, wie vom Blitz getroffen, er schlief im Augenblick ein, ohne einen Atemzug, unter einem bleiernen Zermalmen.
    Lise, die nach ihm sehen kam, kehrte zurück und sagte zu ihrem Mann, daß er vielleicht wirklich tot sei.
    Aber Geierkopf, der sich vorhin hatte aus der Ruhe bringen lassen, zuckte jetzt nur die Achseln. Ach, hat sich was, tot! Stirbt denn so einer so einfach? Wie mußte der sich bloß trotz alledem rumgetrieben haben, daß er in einem solchen Zustand war.
    Als die beiden am nächsten Morgen hereinkamen, um einen kurzen Blick auf ihn zu werfen, hatte sich der Alte nicht gerührt; und er schlief noch am Abend, und er wachte erst am Morgen nach der zweiten Nacht auf, nach sechsunddreißigstündigem Ausgelöschtsein.
    »Sieh mal einer an! Da seid Ihr ja wieder!« sagte Geierkopf grinsend. »Und ich glaubte, daß das weiter so gehen würde, daß Ihr kein Brot mehr essen würdet!«
    Der Alte sah ihn nicht an, antwortete nicht, ging hinaus und setzte sich an die Dorfstraße, um Luft zu schöpfen.
    Von da an war Fouan verstockt. Er schien die Papiere vergessen zu haben, deren Rückgabe man ihm verweigerte; zumindest redete er nicht mehr darüber, er suchte sie nicht mehr, war vielleicht gleichgültig geworden, hatte sich auf jeden Fall ins Unabänderliche gefügt;

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