Die Erde
weitem erblickte, mit seinen Stöcken, um sie zu verjagen. Sie machte sich einen Jux daraus, hatte ihren Spaß daran, ihre Gänse auf ihn zu hetzen, rückte erst dann aus, wenn ein Vorübergehender drohte, sie zu ohrfeigen, falls sie ihren Großvater nicht in Ruhe lasse.
Allerdings hatte Fouan bisher gehen können, und das war ein Trost, denn er interessierte sich noch für die Erde. In jener Sucht alter, leidenschaftlich verliebter Männer, denen ihre einstigen Geliebten nicht aus dem Sinn kommen, ging er immer wieder hinauf, um seine alten Ackerschläge anzusehen. Langsam irrte er mit dem weidwunden Gang eines alten Mannes über die Landstraßen; er blieb am Rande eines Feldes stehen, verharrte dort stundenlang, auf seine Stöcke hingepflanzt; dann schleppte er sich vor ein anderes Feld, verweilte dort abermals, reglos, gleich einem dort gewachsenen, vor Alter verdorrten Baum. Seine leeren Augen konnten weder Weizen noch Hafer, noch Roggen mehr deutlich unterscheiden. Alles verschwamm, und verworrene Erinnerungen stiegen aus der Vergangenheit empor: dieses Stück hatte in dem und dem Jahre soundso viele Doppelzentner eingebracht. Sogar die Daten, die Zahlen flossen schließlich ineinander. Es blieb ihm nur ein lebhaftes, anhaltendes Empfinden: die Erde, die Erde, die er so sehr begehrt, so sehr besessen hatte, die Erde, der er sechzig Jahre lang alles gegeben, seine Glieder, sein Herz, sein Leben, die undankbare Erde war in die Arme eines anderen Mannestieres hinübergewechselt und brachte weiter Erträge, ohne ihm seinen Anteil aufzuheben! Eine große Traurigkeit befiel ihn bei dem Gedanken, daß sie ihn nicht mehr kannte, daß er nichts von ihr behalten hatte, weder einen Sou noch einen Bissen Brot, daß er sterben mußte, verfaulen mußte in ihr, der Gleichgültigen, die sich aus seinen alten Knochen bald wieder Jugend schaffen würde. Wahrhaftig! Um es dahin zu bringen, arm und siech zu werden, da lohnte es sich kaum, daß man sich zu Tode gearbeitet hatte! Wenn er so um seine alten Ackerschläge herumgestrichen war, ließ er sich dann in einer solchen Müdigkeit auf sein Bett fallen, daß man ihn nicht einmal mehr atmen hörte.
Aber diese letzte Anteilnahme am Leben schwand dahin, je mehr seine Beine versagten. Bald wurde das Gehen für ihn so mühselig, daß er sich kaum aus dem Dorf entfernte. Drei oder vier Stellen gab es, wo er an schönen Tagen am liebsten verweilte: die Balken vor Clous Hufschmiede, die Brücke über den Aigre, eine Steinbank bei der Schule; und er streifte langsam von der einen zur anderen, brauchte eine Stunde, um zweihundert Meter zurückzulegen, zottelte hüftlahm, verkrümmt, mit dem ruckartigen Schlingern seines Kreuzes auf seinen Holzschuhen dahin wie auf Rollwagen. Oft verweilte er so den ganzen Nachmittag, auf dem Ende eines Balkens kauernd, und trank die Sonne. Abgestumpft saß er mit offenen Augen reglos da. Leute gingen vorüber, die ihn nicht mehr grüßten, denn er wurde eine Sache. Sogar seine Pfeife war ihm eine Anstrengung, er hörte auf zu rauchen, so sehr lastete sie auf seinem Zahnfleisch, abgesehen davon, daß die schwere Arbeit, sie zu stopfen und anzuzünden, ihn erschöpfte. Er hatte das einzige Verlangen, sich nicht mehr von der Stelle zu rühren, war zu Eis erstarrt, schlotterte vor Kälte unter der glühenden Mittagssonne, sobald er sich bewegte. Das war, nachdem der Wille und das Ansehen gestorben waren, die tiefste Verkommenheit, ein altes leidendes Tier in seiner Verlassenheit, das Elend, ein Menschendasein gelebt zu haben. Übrigens beklagte er sich nicht, hatte sich abgefunden mit jener Vorstellung, daß man das Pferd, das von der Rehe69 befallen ist und ausgedient hat, totschlägt, wenn es unnützerweise seinen Hafer frißt. Ein Alter, der ist zu nichts nutze und kostet nur Geld. Er selber hatte das Ende seines Vaters herbeigewünscht. Wenn seine Kinder nun ihrerseits sein Ende herbeisehnten, war er weder verwundert noch bekümmert darüber. Das mußte eben so sein.
Als ein Nachbar ihn fragte: »Na, Vater Fouan, geht's mit Euch also immer noch?«, schimpfte er:
»Ach, das dauert verflixt lange, bis man verreckt, und dabei fehlt's doch nicht am guten Willen dazu!«
Und er sprach die Wahrheit mit dem Stoizismus eines Bauern, der den Tod hinnimmt, der ihn herbeiwünscht, sobald er wieder arm wird und die Erde ihn zurückholt.
Noch ein Leid wartete auf ihn. Von der kleinen Laure abspenstig gemacht, begann sich Jules vor ihm zu ekeln. Laure schien
Weitere Kostenlose Bücher