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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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das Geld aus deinem Versteck zu behalten, und du willst, daß ich dich von der Straße auflese, was?« Als sie dann sah, daß er sich entschuldigte, Erklärungen stammelte, brauste sie auf: »Als ob ich dich nicht gewarnt hätte! Aber ich habe dir oft genug wiederholt, daß man dumm und feige sein muß, wenn man auf seine Erde verzichtet! – Schadet dir gar nichts, wenn du jetzt da stehst, wie ich es dir gesagt habe, fortgejagt von deinen Kindern, den Lumpen, durch die Nacht rennend wie ein Bettler, der nicht einmal einen Stein sein eigen nennt, um darauf zu schlafen!«
    Er hatte die Hände ausgestreckt, er weinte, er versuchte, sie beiseite zu schieben.
    Sie widerstand, sie machte ihrem Herzen vollends Luft:
    »Nein, nein! Geh diejenigen um ein Bett bitten, die dich bestohlen haben. Ich, ich schulde dir nichts. Die Familie würde mir noch Vorwürfe machen, daß ich mich in ihre Angelegenheiten einmische ... Das alles ist übrigens überhaupt nicht der Grund. Du hast deinen Besitz weggegeben, niemals werde ich dir das verzeihen ...« Und hochgereckt, mit ihrem welken Hals und ihren runden Raubvogelaugen, schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu. »Das ist dir recht geschehen, verrecke draußen!«
    Fouan blieb erstarrt und reglos da stehen vor dieser erbarmungslosen Tür, während hinter ihm der Regen mit seinem eintönigen Trommelwirbel weiterrauschte. Schließlich drehte er sich um, er tauchte wieder unter in der tintenschwarzen Nacht, die dieses langsame und eisige Herabfallen des Himmels ertränkte.
    Wo ging er hin? Er erinnerte sich dessen niemals genau. Seine Füße rutschten aus in den Pfützen, seine Hände tasteten umher, damit er sich nicht an den Mauern und den Bäumen stieß. Er dachte nichts mehr, wußte nichts mehr; dieser Dorfwinkel, von dem er jeden Stein kannte, war gleichsam ein ferner, unbekannter, schrecklicher Ort, in dem er sich fremd und verloren fühlte, unfähig, sich zurechtzufinden. Er schwenkte nach links ab, fürchtete sich vor Löchern, kam wieder nach rechts zurück, blieb fröstelnd stehen, bedroht von allen Seiten. Und da er auf einen Bretterzaun gestoßen war, folgte er ihm bis zu einer kleinen Pforte, die nachgab. Der Boden sackte weg, Fouan rollte in ein Loch. Dort war man gut aufgehoben, der Regen drang nicht herein, es war warm; aber ein Grunzen hatte ihn gewarnt, er war mit einem Schwein zusammen, das ihm bereits seine Schnauze in die Rippen stieß, weil es gestört worden war und ihn für Futter hielt. Ein Ringen entspann sich, er war so schwach, daß die Angst, zerfleischt zu werden, ihn schließlich hinaustrieb. Da er nicht weitergehen konnte, legte er sich zusammengekauert, zusammengerollt, dicht an die Tür, damit ihn der Dachvorsprung vor dem Wasser schütze. Tropfen durchnäßten ihm trotzdem die Beine, Windstöße ließen ihm die nassen Kleider auf dem Leibe zu Eis erstarren. Er beneidete das Schwein, er wäre zu ihm zurückgegangen, wenn er nicht gehört hätte, wie es mit gierigem Schnaufen hinter seinem Rücken die Tür anfraß.
    Bei Tagesgrauen erwachte Fouan aus der schmerzlichen Schlaftrunkenheit, in der er ins Nichts versunken war. Scham erfaßte ihn wieder, die Scham, sich sagen zu müssen, daß sich seine Geschichte in der Gegend herumsprach, daß alle ihn auf den Landstraßen als einen Armen kannten. Wenn man nichts mehr hat, ist keine Gerechtigkeit, ist kein Mitleid zu erwarten. Er stahl sich längs der Hecken davon in der Angst, daß ein Fenster aufging und irgendeine Frühaufsteherin ihn erkannte. Der Regen fiel immer noch, Fouan erreichte die Ebene, verbarg sich tief in einer Strohmiete. Und der ganze Tag verging für ihn, indem er so von Deckung zu Deckung floh, und zwar in einer solchen Verstörtheit, daß er sich nach zwei Stunden entdeckt glaubte und einen anderen Unterschlupf suchte. Der einzige Gedanke, der ihm im Schädel hämmerte, war nun, herauszubekommen, ob das Sterben sehr lange dauere. Unter der Kälte litt er weniger, vor allem der Hunger marterte ihn, er würde sicher verhungern. Noch eine Nacht, noch einen Tag vielleicht. Solange es hell war, hielt er sich tapfer, lieber wollte er so verenden als zu Geierkopfs zurückkehren. Aber eine gräßliche Angst kam über ihn mit der hereinbrechenden Dämmerung, ein Grauen, die vergangene Nacht noch einmal durchzumachen unter dieser hartnäckigen Sintflut. Die Kälte erfaßte ihn wieder bis in die Knochen, unerträglich zernagte ihm der Hunger den Leib. Als der Himmel schwarz war, fühlte er sich

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