Die Erde
der Auvergne, hatte jeden Tag ein wenig an ihm genagt angesichts dieser flachen Beauce, die sich ins Unendliche entrollte und so sein Herz in Traurigkeit ertränkte. Kein Baum, kein Fels, Brackwassertümpel statt der munteren Gewässer, die dort oben über Wasserfälle rinnen. Seine Augen wurden matt, er war noch ausgezehrter geworden, man erzählte, er habe es auf der Brust und werde daran sterben.
Wenn er wenigstens noch irgendeinen Trost bei seinen Pfarrkindern gefunden hätte! Aber als er von seiner so gläubigen früheren Pfarre fortkam, brachte ihn dieser neue, durch Religionslosigkeit verdorbene Ort, wo man allein die äußeren Gebräuche beobachtete, bei der unruhigen Schüchternheit seiner Seele völlig aus der Fassung. Die Frauen machten ihn mit Geschrei und Gezänk ganz benommen, nutzten seine Schwäche so sehr aus, daß sie an seiner Stelle den Gottesdienst leiteten, worüber er bestürzt und voller Bedenken war, und er lebte stets in der Furcht, ungewollt zu sündigen. Ein letzter Hieb stand ihm noch bevor: am Weihnachtstage wurde eine der Marienjungfrauen in der Kirche von Kindswehen befallen. Und seit diesem Skandal schleppte er sich nur noch dahin, man hatte sich dareingeschickt, ihn sterbend in die Auvergne zurückzuschaffen.
»Da sind wir nun also wieder ohne Priester!« sagte die Frimat. »Wer weiß, ob Abbé Godard zurückkommen wird?«
»Ach, der Griesgram!« rief die Große aus. »Er würde dabei vor Ärger sterben!«
Aber Fannys Eintreten brachte sie beide zum Schweigen. Von der ganzen Familie war sie die einzige, die bereits am Tag zuvor gekommen war; und sie kam wieder, um sich zu erkundigen, wie es gehe.
Jean begnügte sich, mit seiner zitternden Hand auf Françoise zu zeigen.
Mitleidiges Schweigen herrschte.
Dann senkte Fanny die Stimme, um herauszubekommen, ob die Kranke nach ihrer Schwester gefragt habe.
Nein, sie mache darüber nicht den Mund auf, als ob Lise gar nicht vorhanden sei.
Das war sehr merkwürdig, denn man mag noch so sehr miteinander verkracht sein, der Tod ist der Tod: wann soll man denn Frieden schließen, wenn nicht vor dem Hinscheiden?
Die Große war der Ansicht, daß man Françoise deswegen fragen solle. Sie stand auf, sie neigte sich über sie.
»Sag, meine Kleine, und Lise?«
Die Sterbende rührte sich nicht. Sie hatte die Augen geschlossen; nur über ihre Lider glitt ein kaum merkliches Zucken.
»Sie wartet vielleicht darauf, daß man sie holt. Ich gehe hin.«
Aber Françoise, die immer noch nicht die Augen aufschlug, verneinte, indem sie den Kopf auf dem Kopfkissen sacht hin und her rollte.
Und Jean wollte, daß man ihren Willen achte. Die drei Frauen setzten sich wieder. Der Gedanke, daß Lise jetzt nicht von selber kam, setzte sie in Erstaunen. Es gibt oft viel Halsstarrigkeit in den Familien.
»Ach, man hat so viele Widerwärtigkeiten!« fing Fanny seufzend wieder an. »So weiß ich seit heute früh überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf steht wegen dieser Auslosung; und es besteht eigentlich gar kein Grund dazu, denn ich weiß doch, daß Nénesse nicht fortmuß.«
»Ja, ja«, murmelte die Frimat, »das regt einen trotzdem auf.«
Wiederum wurde die Sterbende vergessen. Man sprach von Gluck bei der Auslosung, von den Burschen, die fortmüßten, von den Burschen, die nicht fortmüßten. Es war drei Uhr, und obwohl man sie frühestens um fünf Uhr zurückerwartete, sprachen sich bereits Neuigkeiten herum, die, man wußte nicht wie, aus Cloyes über jene Art Lufttelegrafie, die von Dorf zu Dorf fliegt, eingetroffen waren. Der Sohn von Briquets hatte die Nummer dreizehn: kein Glück! Dem von Couillots war die Zweihundertsechs zugefallen, todsicher eine gute Nummer! Aber man wurde nicht schlau, was mit den anderen war, die Berichte widersprachen einander, was die Aufregung aufs höchste steigerte. Nichts über Delphin, nichts über Nénesse.
»Ach! Mir setzt das Herz dabei aus, ist das aber dumm!« sagte Fanny immer wieder.
Man rief die Bécu, die gerade vorüberging. Sie war zur Kirche zurückgekehrt, sie irrte umher wie eine ruhelose Seele; und ihre Bangigkeit wurde so groß, daß sie nicht einmal stehenblieb, um zu schwatzen.
»Ich kann es nicht mehr aushalten, ich gehe ihnen entgegen!«
Jean, der am Fenster stand, hörte nicht zu, schaute mit verschwommenem Blick nach draußen. Seit dem Morgen hatte er mehrere Male bemerkt, daß sich der alte Fouan auf seinen beiden Stöcken um das Haus schleppte. Jäh sah er ihn wiederum, wie er das Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher