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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Reglosigkeit und Schweigen geschlagen. Im glühenden Fieber, das sie verbrannte, schien sich ihr Wille tief in ihr anzuspannen, um dem Fieberwahn zu widerstehen, solche Furcht hatte sie davor, daß sie redete. Sie hatte immer einen seltsamen Charakter gehabt, einen verdammten Dickschädel, den Dickschädel der Fouans, wie man sagte, der nichts so wie die anderen tat und der auf Einfälle kam, die die Leute verblüfften. Vielleicht gehorchte sie einem tiefen Familiengefühl, das stärker war als der Haß und das Verlangen nach Rache. Wozu das auch, da sie ja doch bald sterben würde. Das waren Dinge, die man unter sich begrub auf einem Fleckchen Erde, auf dem sie alle gewachsen waren, Dinge, die man um keinen Preis jemals vor einem Fremden ausbreiten durfte; und Jean war der Fremde, dieser Bursche, dem sie nicht hatte aus Liebe gut sein können, dessen Kind sie mitnahm, ohne es zur Welt zu bringen, als sei sie gestraft worden, weil sie es gezeugt hatte.
    Indessen dachte er, seit er sie sterbend heimgebracht hatte, an das Testament. Die ganze Nacht über war ihm immer wieder der Gedanke gekommen, daß er nur die Hälfte der Möbel und des Geldes, der hundertsiebenundzwanzig Francs, die sich in der Kommode befanden, bekommen würde, wenn sie so starb. Er liebte sie sehr, er hätte sich ein Stück Fleisch herausschneiden lassen, um sie zu behalten, aber dieser Gedanke, daß er mit ihr die Erde und das Haus verlieren könne, vermehrte noch seinen Kummer. Bis dahin hatte er jedoch nicht gewagt, ihr auch nur ein Wort davon zu sagen: das fiel ihm so schwer, und außerdem waren immerzu Leute da! Da er schließlich sah, daß er nicht viel mehr darüber erfahren würde, wie sich der Unfall zugetragen hatte, entschloß er sich und schnitt die andere Angelegenheit an.
    »Vielleicht hast du noch irgend etwas zu regeln.«
    Françoise, die steif und starr dalag, schien nicht zu hören. Nichts glitt über ihre geschlossenen Augen, über ihr verschlossenes Gesicht.
    »Du weißt ja, wegen deiner Schwester, falls dir ein Unglück zustößt ... Wir haben das Papier dort in der Kommode.« Er brachte das Stempelpapier, er fuhr mit sich verhaspelnder Stimme fort: »Na? Soll ich dir helfen? Ob du nämlich noch die Kraft zum Schreiben hast ... Das ist bei mir kein Eigennutz. Das ist bloß der Gedanke, daß es doch nicht dein Wille sein kann, den Leuten etwas zu hinterlassen, die dir soviel Böses angetan haben.«
    Ihre Lider zitterten leicht, was ihm bewies, daß sie hörte. Sie lehnte also ab? Er war erschüttert darüber und konnte es nicht begreifen.
    Sie hätte vielleicht selber nicht sagen können, warum sie sich solcherweise tot stellte, bevor sie zwischen vier Bretter eingenagelt wurde. Die Erde, das Haus gehörten nicht diesem Mann, der zufällig daherkam und durch ihr Dasein schritt wie ein Vorübergehender. Sie schuldete ihm nichts, das Kind ging mit ihr dahin. Mit welchem Recht sollte der Besitz aus der Familie kommen? Ihre kindische und starrköpfige Vorstellung von Gerechtigkeit erhob Einspruch: das hier gehört mir, das da gehört dir, laß uns auseinandergehen, leb wohl! Ja, das war das eine, und es war da noch etwas anderes, Verschwommeneres: entrückt, verloren in einer Ferne ihre Schwester Lise, gegenwärtig allein Geierkopf, der trotz der Schläge geliebt, begehrt wurde und dem vergeben war.
    Aber Jean ärgerte sich, weil auch er von der Leidenschaft für die Erde angesteckt und vergiftet war. Er richtete sie auf, bemühte sich, sie aufzusetzen, versuchte ihr eine Feder zwischen die Finger zu stecken.
    »Na, geht's? – Du liebst sie also mehr als mich? Sie würden alles bekommen, diese Lumpen!«
    Da schlug Françoise endlich die Lider auf, und der Blick, den sie auf ihn richtete, versetzte ihn in Bestürzung. Sie wußte, daß sie bald sterben würde, in ihren großen, weit aufgerissenen Augen lag die grenzenlose Verzweiflung darüber. Warum quälte er sie? Sie konnte nicht, sie wollte nicht. Allein ein dumpfer Schmerzensschrei war ihr entfahren. Dann sank sie zurück, ihre Lider schlossen sich von neuem, ihr Kopf lag wieder reglos mitten auf dem Kopfkissen.
    Ein solches Unbehagen befiel Jean, der sich seiner Roheit schämte, daß er mit dem Stempelpapier in der Hand sitzen blieb, als die Große hereinkam. Sie begriff, sie nahm ihn beiseite, um zu erfahren, ob ein Testament vorhanden sei. Er behauptete ja und stammelte dabei, weil er log; gerade konnte er noch das Papier verstecken aus Angst, daß man Françoise

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