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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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quäle.
    Die Große schien das gutzuheißen, sie war weiterhin auf Seiten von Geierkopfs und sah die Scheußlichkeiten voraus, falls diese das Erbe antraten. Und nachdem sie sich an den Tisch gesetzt hatte, fing sie wieder an zu stricken und fügte laut hinzu:
    »Ich, ich werde todsicher niemandem unrecht tun ... Seit langem ist das Schriftstück in Ordnung. Oh, jeder bekommt seinen Teil, ich würde mich für zu unehrlich halten, wenn ich irgendeinen bevorteilte ... Das stimmt, Kinder. Das wird eintreten, das wird eines Tages eintreten!«
    Das sagte sie Tag für Tag zu den Familienmitgliedern, und aus Gewohnheit wiederholte sie es an diesem Sterbebett. Ein inneres Lachen kitzelte sie jedes Mal bei dem Gedanken an das famose Testament, das alle dazu bringen mußte, sich gegenseitig zu zerfleischen, wenn sie einmal nicht mehr da war. Sie hatte nicht eine Klausel darin angebracht, ohne insgeheim die Möglichkeit eines Prozesses einzufügen.
    »Ach, wenn man sein Hab und Gut mitnehmen könnte!« sagte sie abschließend. »Aber da man es nun einmal nicht mitnehmen kann, müssen sich eben die anderen daran gütlich tun.«
    Nun kam auch die Frimat wieder und setzte sich an die andere Seite des Tisches, der Großen gegenüber. Sie strickte ebenfalls. Und die Stunden des Nachmittags verstrichen eine nach der anderen, die beiden alten Frauen plauderten seelenruhig, während Jean, der nicht stillsitzen konnte bei diesem gräßlichen Warten, hin und her wanderte, hinausging, wieder hereinkam. Der Arzt hatte gesagt, daß nichts zu machen sei, und man machte nichts.
    Zuerst bedauerte die Frimat, daß man nicht Meister Sourdeau geholt hatte, einen Gliedereinrenker aus Bazoches, der auch bei Wunden gut war. Er brummelte ein paar Worte, er brachte die Wunden zum Zuheilen, indem er bloß darüber pustete.
    »Ein tüchtiger Mann!« erklärte die Große voller Ehrfurcht. »Das ist doch der, der den Lorillons das Brustbein wieder eingerenkt hat ... Da senkt sich eines Tages das Brustbein bei Vater Lorillon. Es krümmt sich zurück, es lastet ihm auf dem Magen, so daß er vor Entkräftung schier eingeht. Und das schlimmste ist, daß nun auch Mutter Lorillon von diesem verflixten Übel gepackt wird, das ansteckend ist, wie ihr ja wißt. Schließlich hat es sie alle erwischt, die Tochter, den Schwiegersohn, die drei Kinder ... Mein Wort, die wären dabei draufgegangen, wenn sie nicht Meister Sourdeau hätten kommen lassen, der ihnen das wieder eingerenkt hat, indem er ihnen mit einem Schildpattkamm über den Magen rieb.«
    Die andere Alte unterstrich jede Einzelheit mit einem Kinnwackeln: das war bekannt, das war nicht zu bestreiten. Sie selber führte eine andere Tatsache an:
    »Meister Sourdeau ist's außerdem gewesen, der die Kleine von Budins vom Fieber geheilt hat, indem er eine lebendige Taube in zwei Hälften aufriß und sie ihr auf den Kopf setzte.« Sie drehte sich zu Jean um, der verstört vor dem Bett stand. »An Eurer Stelle würde ich ihn herbitten. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.«
    Aber er winkte zornig ab. Er, der durch den Hochmut der Städte verdorben war, glaubte nicht an solche Sachen.
    Und die beiden Frauen fuhren noch lange fort, einander Heilmittel mitzuteilen: gegen Kreuzschmerzen Petersilie unter dem Strohsack; um Geschwülste zu heilen, drei Eicheln in der Tasche; um die Blähungen zu vertreiben, ein Glas vom Mondschein gebleichtes Wasser auf nüchternen Magen getrunken.
    »Hört mal«, fing jäh die Frimat wieder an, »wenn man schon nicht Meister Sourdeau holt, könnte man immerhin den Herrn Pfarrer kommen lassen.«
    Jean winkte wiederum wütend ab, und die Große kniff die Lippen zusammen.
    »Das ist mir aber ein Einfall! Was soll denn der dabei machen, der Herr Pfarrer?«
    »Was er eben dabei machen soll! – Er würde die Sakramente bringen, das ist mitunter nicht schlecht!«
    Die Große zuckte die Achseln, wie um zu sagen, daß man nicht mehr in diesen Vorstellungen da lebe. Jeder bei sich daheim: der liebe Gott bei sich daheim, die Leute bei sich daheim.
    »Übrigens«, bemerkte sie nach einem Schweigen, »würde der Pfarrer nicht kommen, er ist krank ... Die Bécu hat mir vorhin gesagt, daß er Mittwoch im Wagen fortgefahren ist, weil der Arzt erklärt hat, er würde in Rognes todsicher verrecken, wenn man ihn nicht wegbringe.«
    Tatsächlich ging es mit Abbé Madeline nur bergab in den zweieinhalb Jahren, die er diese Pfarre versorgte. Das Heimweh, die verzweifelte Sehnsucht nach seinen Bergen in

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