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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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an eine Scheibe preßte und die Dinge in der Stube zu unterscheiden trachtete; und Jean öffnete das Fenster, der Alte sah ganz erschüttert aus und stammelte, als er fragte, wie es denn gehe.
    Sehr schlecht, es war das Ende.
    Da streckte er den Kopf vor, schaute von fern Françoise so lange an, daß es aussah, als könne er sich nicht mehr von dem Anblick losreißen.
    Sobald Fanny und die Große ihn erblickt hatten, waren sie wieder auf ihren Einfall zurückgekommen, Lise holen zu lassen. Jeder müsse das Seine dazu beitragen, das könne so nicht zu Ende gehen. Aber als sie den Alten mit der Bestellung beauftragen wollten, hastete er entsetzt und schlotternd davon. Er schimpfte, er mummelte mit seinem vom Schweigen verschleimten Zahnfleisch.
    »Nein, nein ... unmöglich, unmöglich ...«
    Jean war bestürzt über die Furcht des Alten; die Frauen zuckten hilflos die Achseln. Alles in allem war das Sache der beiden Schwestern, man würde sie nicht zwingen, Frieden zu schließen. Und da sich in diesem Augenblick Lärm erhoben hatte, zuerst schwach wie das Brummen einer dicken Fliege, dann immer lauter grollend wie ein Windstoß in den Bäumen, zuckte Fanny zusammen.
    »Was? Die Trommel ... Das sind sie, guten Abend!« Sie verschwand, ohne auch nur ihre Kusine ein letztes Mal zu küssen. Die Große und die Frimat waren an die Tür hinausgegangen, um zuzusehen.
    Es blieben nur Françoise und Jean zurück: sie, die in ihrer eigensinnigen Reglosigkeit und Schweigsamkeit dalag, vielleicht alles hörte, so sterben wollte wie ein tief in seinem Bau vergrabenes Tier; er, der am offenen Fenster stand, aufgewühlt war von Ungewißheit und ertränkt von einem Schmerz, der ihm von den Menschen und den Dingen, von der ganzen unermeßlichen Ebene zu kommen schien. Ach, dieses Trommeln, wie es anschwoll, wie es in seinem ganzen Wesen widerhallte, dieses Trommeln, dessen anhaltende Wirbel in seine Trauer von heute seine Erinnerungen von einst mischten: die Kasernen, die Schlachten, das Hundeleben der armen Kerle, die weder Frau noch Kinder zum Lieben haben!
    Sobald die Fahne in der Ferne auf der ebenen, von der Abenddämmerung verdüsterten Straße wieder auftauchte, fing eine Schar Bengel an, den Wehrpflichtigen entgegenzurennen, eine Gruppe von Eltern stellte sich am Dorfeingang auf. Die neun Burschen und der Trommler waren bereits sehr besoffen, grölten ein Lied in die Schwermütigkeit des Abends, hatten sich mit schmalen Bändern in den Farben der Trikolore74 geschmückt, und die meisten hatten ihre Nummer am Hut mit Nadeln festgesteckt. Beim Anblick des Dorfes brüllten sie noch lauter, und aus purer Großtuerei marschierten sie im Erobererschritt in den Ort ein.
    Noch immer hielt Delphin die Fahne. Aber zurück trug er sie auf der Schulter wie einen lästigen Fetzen Stoff, für dessen Verwendbarkeit er kein Verständnis hatte. Er sah mitgenommen aus, hatte ein hartes Gesicht, er sang nicht, hatte keine Nummer an seine Mütze gesteckt.
    Sobald die Bécu ihn erblickte, stürzte sie zitternd herzu, auf die Gefahr hin, von der marschierenden Schar umgerissen zu werden.
    »Na und?«
    Wütend schleuderte Delphin sie beiseite, ohne seinen Schritt zu verlangsamen.
    »Du kotzt mich an!«
    Bécu, dem die Kehle ebenso zugeschnürt war wie seiner Frau, war herzugetreten. Als er hörte, was sein Sohn von sich gab, fragte er nicht weiter, und als die Mutter schluchzte, hatte er trotz seines patriotischen Schneids die allergrößte Mühe, seine eigenen Tränen zurückzudrängen.
    »Was willst du denn dabei machen? Ihn haben sie genommen!«
    Und auf der menschenleeren Landstraße zurückgeblieben, schleppten sich beide mühsam heim, während sich der Mann an sein hartes Soldatenleben erinnerte und die Frau ihren Zorn gegen den lieben Gott kehrte, zu dem sie zweimal beten gegangen war und der sie nicht erhört hatte.
    Nénesse, der trug an seinem Hut eine prachtvolle, mit Rot und Blau gepinselte 214. Das war eine der höchsten Nummern, und er frohlockte über sein Glück, schwenkte seinen Spazierstock, führte den wilden Chor der anderen an und schlug den Takt dazu. Als Fanny die Nummer sah, stieß sie, anstatt sich zu freuen, einen tiefen Schrei des Bedauerns aus: ach, wenn man das gewußt hätte, würde man nicht tausend Francs bei Herrn Baillehaches Lotterie eingezahlt haben. Aber sie und Delhomme umarmten trotzdem ihren Sohn, als sei er soeben einer großen Gefahr entronnen.
    »Laßt mich doch los!« schrie er. »Das kotzt einen ja

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