Die Erde
wiederholt.
Den Süßwarenladen, na, war das etwa gescheit?
Der junge Mann und sein Vater beharrten starrköpfig darauf, ihn als Mitgift zu fordern, sie sagten, man könne so was nicht fahrenlassen, das sei das wahre Glück der Zukunft; und sie riefen Jean zum Zeugen an, der zustimmend nickte.
Schließlich schrien sie alle durcheinander, sie vergaßen Sich, drückten sich deutlicher aus, führten derbe Einzelheiten an, da brachte sie ein unerwarteter Zwischenfall alle zum Schweigen.
Langsam hatte Elodie ihren Kopf frei gemacht, und sie erhob sich, sah dabei aus wie eine große im Schatten gewachsene Lilie mit der ihr eigenen dünnen Blässe einer blutarmen Madonna, ihren leeren Augen, ihren farblosen Haaren. Sie schaute sie alle an und sagte seelenruhig:
»Mein Cousin hat recht, man kann so was nicht fahrenlassen.«
Entgeistert stammelte Frau Charles:
»Aber, mein Häschen, wenn du wüßtest ...«
»Ich weiß Bescheid ... Schon seit langem hat mir Victorine alles gesagt, Victorine, das Dienstmädchen, das ihr entlassen habt wegen der Männer. Ich weiß Bescheid, ich habe darüber nachgedacht, ich beschwöre euch, man kann so was nicht fahrenlassen.«
Die Charles saßen da wie festgenagelt vor Verblüffung. Ihre Augen waren groß und rund geworden, in tiefer Verstörtheit betrachteten sie Elodie. Ach was! Sie wußte Bescheid über die Nr. 19, wußte, was man dort machte, was man dort verdiente, wußte kurzum Bescheid über das Gewerbe, und sie sprach darüber mit dieser ruhigen Heiterkeit! Ach, die Unschuld, sie rührt an alles, ohne zu erröten!
»Man kann so was nicht fahrenlassen«, wiederholte sie. »Das ist zu gut, so was bringt zu viel ein ... Und außerdem ein Haus, das ihr aufgebaut habt, in dem ihr so tüchtig gearbeitet habt, soll so was denn aus der Familie kommen?«
Herr Charles wurde ganz außer Fassung gebracht dadurch. In seiner Ergriffenheit stieg eine unsagbare Rührung aus seinem Herzen empor und schnürte ihm die Kehle zu. Er war aufgestanden, er schwankte, stützte sich auf seine Frau, die ebenfalls stand, nach Atem rang und zitterte. Beide glaubten, das sei ein Opfer für Elodie, und lehnten mit entsetzter Stimme ab:
»Oh, Liebling, oh, Liebling ... Nein, nein, Liebling ...«
Aber Elodies Augen wurden feucht, sie küßte den alten Trauring ihrer Mutter, den sie jetzt am Finger trug, diesen dort bei der Arbeit abgenutzten Ring.
»Doch, doch, laßt mich meinen Vorsatz ausführen. Ich will sein wie Mama. Was sie getan hat, kann auch ich tun. Es ist nichts Unehrenhaftes dabei, da ihr es ja auch getan habt, ihr auch ... Mir gefällt so was sehr, versichere ich euch. Und ihr werdet sehen, ob ich meinem Cousin helfe, ob wir zu zweit das Haus rasch wieder hochbringen! Das muß gehen, ihr kennt mich noch nicht!«
Da war alles hingerissen, die Charles troffen vor Tränen. Rührung ertränkte sie, sie schluchzten wie Kinder. Ohne Zweifel hatten sie sie nicht in diesem Gedanken erzogen; bloß was soll man da tun, wenn das Blut spricht? Sie erkannten den Schrei der Berufung. Ganz und gar dieselbe Geschichte wie mit Estelle: auch sie hatten sie bei den Visitandinerinnen, unwissend, durchdrungen von den strengsten Moralgrundsätzen, eingesperrt gehalten; und sie war nichtsdestoweniger eine unvergleichliche Herrin des Hauses geworden. Die Erziehung besagte nichts, der Verstand, der entschied über alles. Aber die große Gemütsbewegung bei Herrn und Frau Charles und die Tränen, von denen sie Überflossen, ohne sie aufhalten zu können, kamen mehr noch von diesem glorreichen Gedanken her, daß die Nr. 19, ihr Werk, ihr Fleisch und Blut, vor dem Untergang gerettet würde. Elodie und Nénesse würden mit der schönen Flamme der Jugend dort ihr Geschlecht fortsetzen. Und sie sahen das Haus bereits restauriert, wieder in Gunst gekommen beim Publikum, funkelnd, so daß es schließlich wieder über Chartres erstrahlte wie einst in den schönsten Tagen ihrer Herrschaft.
Als Herr Charles wieder reden konnte, zog er seine Enkeltochter in seine Arme.
»Dein Vater hat uns viel Sorgen bereitet, du tröstest uns über alles, mein Engel!«
Frau Charles umarmte sie ebenfalls, sie bildeten nur noch eine Gruppe, ihre Tränen rannen ineinander.
»Es ist also abgemacht?« fragte Nénesse, der eine feste Zusage wollte.
»Ja, es ist abgemacht.«
Delhomme strahlte; als Vater war er entzückt darüber, seinen Sohn auf eine so unverhoffte Weise versorgt zu haben. Und trotz seiner Vorsicht geriet er in Erregung, er
Weitere Kostenlose Bücher