Die Erde
denn, die Gendarmen sollten sich da einmischen, jetzt, da er die Geschichte mit Françoise begraben glaubte? Seit er am Morgen gesehen hatte, wie sie in die Erde hinabgesenkt wurde, atmete er auf; und da wußte der Alte nun alles! Stellte er sich denn dumm, um ihn und Lise zu belauern? Das versetzte Geierkopf vollends in Angst, er fühlte sich so krank, als er wieder ins Haus ging, daß er die Hälfte seines Tellers Suppe übrigließ. Lise, die er in die Geschichte eingeweiht hatte, schlotterte und aß auch nicht.
Beide hatten sich auf diese erste Nacht im wiedereroberten Hause gefreut. Sie wurde gräßlich, die Unglücksnacht. Sie hatten Laure und Jules auf einer Matratze vor der Kommode schlafen gelegt, bis sie sie anderswo unterbringen würden; und die Kinder schliefen noch nicht, als sie sich selber ins Bett legten und die Kerze auspusteten. Aber sie konnten kein Auge zumachen, sie drehten sich hin und her wie auf einem glühenden Rost, sie redeten schließlich mit halblauter Stimme. Ach, dieser Vater, was für eine schwere Last er doch war, seit er wieder kindisch wurde! Eine wahre Bürde, die ihnen schier das Kreuz brach, soviel kostete er! Man machte sich keine, Vorstellung davon, was er an Brot verschlang, wie er gierig das Fleisch mit allen Fingern nahm, den Wein in seinen Bart vergoß und so unsauber war, daß einem übel wurde, wenn man ihn bloß sah. Obendrein rannte er jetzt immerzu mit offenen Hosen herum, man hatte ihn überrascht, wie er gerade dabei war, sich vor kleinen Mädchen zu entblößen: die Sucht eines alten erledigten Tiers, ein ekelhaftes Ende für einen Mann, der zu seiner Zeit nicht schweinischer als jeder andere war. Wahrhaftig! Das langte, um ihm mit einem Spatenhieb den Rest zu geben, da er sich nicht entschloß, von selber abzukratzen!
»Wenn man bedenkt, daß er hinfallen würde, wenn man ihn bloß anpustet!« murmelte Geierkopf. »Und er ist hartherzig, er schert sich den Teufel darum, ob er uns lästig fällt! Diese alten Kerle, je weniger die schaffen, je weniger die verdienen, um so mehr klammern sie sich ans Leben! – Der wird nie ins Gras beißen, der da!«
Lise sagte nun in seinem Rücken:
»Das ist schlecht, daß er wieder hier reingekommen ist ... Er wird sich hier viel zu wohl fühlen, er wird noch zäher am Leben hängen ... Wenn ich den lieben Gott zu bitten gehabt hätte, hätte ich ihn gebeten, den Alten nicht eine einzige Nacht im Hause schlafen zu lassen.«
Beide schnitten ihre wahre Sorge nicht an, den Gedanken, daß der Vater alles wußte und daß er sie verraten konnte, sogar unbeabsichtigt. Das, das war der Gipfel. Daß er Unkosten verursachte, daß er ihnen im Wege war, daß er sie hinderte, sich nach Belieben des Besitzes der gestohlenen Wertpapiere zu erfreuen, das alles hatten sie lange ertragen. Aber daß ein Wort von ihm ihnen den Kopf kosten würde, ach, nein, das war mehr als die Polizei erlaubt. Da mußte Ordnung geschaffen werden.
»Ich werd nachsehen gehen, ob er schläft«, sagte Lise jäh.
Sie zündete die Kerze wieder an, vergewisserte sich, daß Laure und Jules in tiefem Schlaf lagen, dann schlich sie im Hemd in die Rübenkammer, wo man die eiserne Bettstelle des Alten wieder aufgestellt hatte. Als sie zurückkam, schauderte sie, ihre Füße waren auf dem Fliesenfußboden zu Eis erstarrt, und sie verkroch sich wieder unter die Bettdecke, schmiegte sich eng an ihren Mann, der sie in seine Arme nahm, um sie aufzuwärmen.
»Na und?«
»Na und! Er schläft, er hat den Mund offen wie ein Karpfen, weil er keine Luft kriegt.«
Schweigen herrschte, aber sie mochten noch so sehr schweigen, in ihrer Umarmung hörten sie unter ihrer Haut ihre Gedanken pochen. Diesem Alten, der immerzu nach Luft schnappte, den Rest zu geben, das war ja so leicht: eine winzige Kleinigkeit in die Kehle gesteckt, ein Taschentuch, die Finger bloß, und man wäre von ihm erlöst. Das hieße sogar, ihm eine richtige Gefälligkeit erweisen! War es nicht besser, ruhig auf dem Friedhof zu schlafen, als den anderen und sich selber zur Last zu fallen?
Geierkopf preßte Lise immer noch an sich. Nun brannten sie beide, als habe ein Verlangen ihnen das Blut in den Adern in Brand gesetzt. Er ließ sie auf einmal los, sprang nun seinerseits mit nackten Füßen auf den Fliesenfußboden.
»Ich werde auch mal nachsehen gehen.«
Mit der Kerze in der Faust verschwand er, während sie, den Atem anhaltend, lauschte und mit weit aufgerissenen Augen in die Finsternis starrte. Aber die
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