Die Erdfresserin
hinuntergewürgt hatte. Wir schwiegen. Mein Deutsch fügte sich bei seinem Anblick noch schwerer zusammen als sonst. Ich war so lange im Windschatten der mir bekannten Sprachen unterwegs gewesen, bis ich mich an meine Wort- und Wertlosigkeit gewöhnt hatte.
»Was glotzt du so«, hätte ich ihn am liebsten gefragt, aber ich wagte es nicht. Die Zeit zog sich, wir schwiegen, ich zerbröselte die Reste der Semmel in kleine helle Krumen, die sich in der rostroten Sauce nach und nach auflösten. Als der Teller endlich abserviert wurde, fragte er mich, ob ich noch Hunger hätte, ich verneinte. Ich wollte wieder zu Slavko, so schnell wie möglich.
»Ist gut«, meinte er. »Keine Nachspeise.«
»Keine Nachspeise.«
Er brachte mich zurück. Er ging sehr langsam. Ich rannte vor ihm her. Ich war immer noch nicht sicher, ob er mich bewachte oder eskortierte, ich hatte erneut Angst, bis wir vor Slavkos Lokal standen.
»Ich muss etwas Gutes tun«, sagte er, bevor ich hineinging, so gehetzt und entschuldigend, wie er sich damals vorgestellt hatte.
Das überraschte mich derart, dass ich lächeln musste. Ich hielt inne und blickte ihm zum ersten Mal ins Gesicht. Er hatte kleine blaue Augen. Er schwitzte.
»Warum?«, fragte ich.
Er sah beschämt zu Boden.
Slavko kam von der Bar. Er trug Grün heute, ein waldiges Plastikgrün mit gelben Reißverschlüssen, die wieder hervorragend zu seinem Goldkettchen passten. Er stimmt das Goldkettchen auf die Sportanzüge ab. In Wirklichkeit ist er ein Ästhet, wie selten einer. Slavko schwenkte ein Tablett mit Gläsern voll ebenso goldgelben Bieres mit Schaumkrone, er wollte anstoßen, er mochte diese unerwartete Erweiterung seines Kompetenzbereiches, oder er fürchtete die auffällig häufigen Kontrollen, wer weiß. Slavko ist ein Janus, den man schwer durchschauen kann, eine Janussphinx mit schwarzem Pagenkopf und Plastikschuhen, er blickt in die Zukunft und in die Vergangenheit und sieht dort immerzu nur mich, die ich für ihn fast umsonst arbeiten will, für ein Dach über dem Kopf, für ein wenig Sicherheit und ein regelmäßiges Trinkgeld, das bei uns zu Hause das Zehnfache wert ist.
»Wegen dem Horoskop.«
Ich erinnere mich, er sprach damals schon davon, in der Nacht vor zwei Tagen, als ich starr neben ihm am Bartischchen saß und sein hübscher Kollege mich angewidert musterte.
»Warum Horoskop?«, hakte ich nach.
»Im Horoskop stand drin: Ich muss was Gutes tun. Vor Mitternacht. Es war aber schon zehn nach.«
Ich sah ihn immer noch verständnislos an.
»Deswegen dachte ich, ich komme nochmal her und mach noch was. Zum Ausgleich.«
Ich schwieg, während sich vor meinem inneren, sozusagen dritten Auge ein großes Panorama an Möglichkeiten eröffnete, ich wollte gar nicht daran denken, aber die Gedanken kamen von selbst, ungefragt und umso präziser.
»Ich muss mein Karma sauber bekommen, wissen Sie.«
»Vielleicht ich kann Ihnen helfen«, sagte ich.
*
Nastja rief mich an, pünktlich wie vereinbart.
»Was brauchst du jetzt?«, fragt sie mich verführerisch. »Soll er ein Haus kaufen, dich heiraten, ins Kino gehen?«
Sie lacht, ich bleibe still.
»Ich brauche Geld«, sage ich nach einer kurzen Nachdenkpause, »dann kann ich die Medizin für zwei Wochen schicken, und dann habe ich etwas Luft.«
»Gut«, notiert sie eifrig wie eine Sekretärin, »Geld. Was noch?«
»Ich weiß nicht recht.«
»Beeil dich, Diana. Er könnte jeden Augenblick klingeln.«
Ich stelle mir unser Stiegenhaus vor, dunkel, heruntergekommen, die Wohnung im ebenerdigen Geschoß, gleich neben dem Hauswart, durchs Fenster blickt man auf die ausgewaschene Wand des Nebenhauses. Unten links ein bemühtes Graffiti.
Sie hat einen bunten Perlschnurvorhang davorgehängt. Stoffblumen in einer Plastikvase und einen großen Weihnachtsstern im Topf. Ein roter Perserläufer führt durch den schmalen Gang, ihre Schuhe in Reih und Glied aufgereiht, die ganze Länge des Vorraums entlang, die gröberen am Anfang, nahe der Tür, je näher zum Wohnschlafzimmer, desto ausgefallener und filigraner. Ich stelle mir vor, dass unter ihrem Bett die exquisitesten Modelle versteckt sind, Louis Vuitton und Prada, während beim Eingang die Vollplastikstiefel von Deichmann geparkt werden, Sohle Plastik, innen Plastik, außen Kunststoff. So echt wie ihr dramatisch schwarzes Haar, das ihr in wilden Strähnen ins Gesicht fällt, wenn sie arbeitet, und das unschuldig über ihrem weißlackierten Lehnstuhl hängt, wenn ich sie privat
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