Die Erdfresserin
das schönste Gewand tragen, doziert er am Montag um sechs Uhr früh, während er mit präzisen Bewegungen das Geld in der Kassa zählt und ich die Tische abwische, bevor das Erbrochene am Klo dran ist. An jedem Tag der Woche trägt er ein anderes Modell, er ist penibel, um nicht zu sagen pedantisch, seine Woche ist nach Farben geordnet. Grün am Montag, Blau am Dienstag, Gelb am Mittwoch, Grau am Donnerstag und Schwarz am Freitag, am Samstag strahlt er in unschuldigem Weiß, das schön mit seinem schwarzen, langen Pagenkopf kontrastiert, den ich ihm immer nachfärben muss, wenn der perlgraue Nachwuchs länger wird als drei Zentimeter. Hauptberuflich ist er Geschäftsführer eines Würstelstandes im fünften Bezirk. Würstelkaiser und König der Nacht in Personalunion. Er schüttelt seinen Pagenkopf, der ihm etwas damenhaft Strenges verleiht, der Nachwuchs glänzt rosa im Barlicht, das von oben auf seinen Scheitel fällt. Den Ärger werde ich ihm konsequent wieder abarbeiten, das steht schon fest. Der Betrieb ist für Stunden unterbrochen, viele Kunden werden heute nicht mehr erscheinen, die Mädchen, die den Umsatz natürlich heben, sind geflüchtet.
Er schüttelt den Kopf, auf seiner mit rotem Plastik bezogenen Brust pendelt ein großer Anhänger, Keramik, mit Madonna und Kind darauf, Rot in Rot und Gold.
Der zweite Polizeibeamte kommt hinter dem Rettungswagen hervor und schlendert auf uns zu. Er ist noch sehr jung. Ein hübsches Gesicht, blondes Haar, fast so gelblich wie meines, ein durchtrainierter Leib. Ungefähr so alt wie mein Sohn. Er verdreht die Augen beim Eintreten. Er duftet so gut nach gesicherten Verhältnissen, nach gepflegter Hausmannskost, dass ich am liebsten einen tiefen Zug von ihm nehmen würde, damit ein wenig davon auf mich abfärbt.
»Der Trottel hat die Anzeige zurückgezogen«, schnaubt er. »Was machen wir jetzt?«
Ich spüre mein Herz kurz rasten und dann eilig weiterhetzen.
»Angst vor Ehefrau fressen Seele auf«, Slavko wird unverschämt.
Mein Gegenspieler ist in Gedanken versunken, er sagt lange nichts. Er hat die Mütze längst aus meinen zitternden Händen genommen und knetet sie nun in seinen Fingern, die aufgeschwemmt und weißlich wirken. Vielleicht ernährt er sich nicht gesund. Der Rettungswagen schaltet seine Sirene ein und fährt los, kurz ist die Straße in festliches Blaulicht getaucht.
»Hast du heute dein Horoskop gelesen«, fragt er plötzlich den Jungen, dessen Gesicht lang und noch länger wird.
»Was machen wir?«, wiederholt er ungeduldig, die Frage nach dem Horoskop hat er glücklich verdrängt.
»Wo kein Kläger, da kein Richter«, assistiert Slavko mit furchtbarem Akzent von der Bar her. Wenn ich abgeschoben werde, falle ich für Monate aus.
Ich bin verlässlich und billig.
»Bitte«, schluchze ich, »ich könnte Ihre Mutter sein, bitte …«
»Dann wär ich ein Hurensohn«, schneidet er mir verächtlich das Wort ab.
Der Ältere schnauft vor sich hin, er kämpft, wie wir zuvor zu zweit gekämpft haben, er ringt alleine weiter.
»Bitte«, flüstere ich. »Ich habe ein krankes Kind.«
»Habt ihr doch alle«, winkt der Junge ab.
Der Alte wetzt noch wilder auf dem Plastikhocker herum.
»Warum?«, fragt er mich gequält.
Ich weiß, dass ich ihn habe. Ich gewinne meistens. Ich kenne Polizisten, die mit Geld ruhigzustellen sind. Oder mit körperlicher Aufmerksamkeit. Moralisch leidende Polizisten haben bei mir definitiv Premiere.
»Das Spital erstattet sowieso Anzeige.«
»Gegen unbekannt«, sagt Slavko. Er hat langjährige Erfahrung damit.
Slavko bringt Getränke. Ich muss ebenfalls anstoßen. Mit Vitaminsaft.
Das Handy des Jungen läutet.
»Mausi, ich kann grad nicht, bitte später.«
»Geh nur, ich mach das«, schlägt ihm der andere vor.
Der Junge verdreht schon wieder die Augen. Eine oft verwendete Mimik, ausdrucksarm, würde man bei uns an der Schauspielschule sagen, und ihn zu vielen Grimassen vor dem Spiegel verdonnern. Er geht vor dem Fenster auf und ab. Mausi hat viel zu erzählen.
Der dicke Polizist, der immer noch schwitzt, hat einen seltsamen Blick, fällt mir auf, jetzt, wo mein Puls normal ist und der Tunnel in meinem Sichtfeld verschwindet. Irgendwie gehetzt, unglücklich, fast verängstigt, würde ich sagen, wenn mir nicht klar wäre, dass ich mir das nur einbilden kann. Er drückt mir meine Tasche in die Hand. Er verstaut seine Papiere, den Kugelschreiber, er dreht sein Walkie-Talkie ab. Ich warte schweigend. Slavko verdrückt
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