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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julya Rabinowich
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nach der ich mich vorsichtig aus dem Haus schleiche, darauf achtend, dass mich keiner sieht, bringt mich diesem Bezirk und dieser kleinen grauen Gasse näher, näher an eine trügerische Sicherheit, näher an die Illusion eines Ankommens, und je länger ich fortbleibe, desto mehr leidet die Heiratswillige, aber Unbegehrte. Nastja.
    Beim letzten Mal, als ich wieder in der kleinen Souterrainwohnung auftauchte und auf sie wartete, fiel mir auf, wie gepflegt der Raum schien, seit ich ihn verlassen hatte, Nastja wäre wirklich gerne Hausfrau, denke ich, so peinlich liebevoll, wie sie die Kissen auf ihrem Bett verteilt, die Vorhänge vors Fenster zieht, um eine österreichische Intimität wahren zu können, wozu, denke ich mir immer, sie sehen sowieso alles, sie holen sich alles, es ist völlig egal, ob man sich verhängt oder nicht, ob man sich säubert, es wird ja doch schmutzig. Das, worum es geht, sollte man sowieso nie öffnen.
    Die Tür geht auf, Nastja kommt herein, sie trägt einen neuen Mantel, den ich ihr aus Leos Wohnung mitgebracht habe.
    Sie zuckt zusammen, als sie mich so reglos im Vorraum im Halbdunkel sitzen sieht, dann fällt sie mir um den Hals. Der hellblaue Mantel rutscht ihr von den Schultern, er ist zu groß, und er fällt zu Boden. Sie hebt ihn nicht auf. Sie kann mir auffällig nicht in die Augen sehen.
    »Willst du Wein?«
    »Nein«, sage ich. »Nur Tee.«
    Während wir warten, redet sie ununterbrochen Unsinnigkeiten, wer was wann wo gesagt hat, was sie sich kaufen wird, und von zu Hause ist ein Brief gekommen. Die Stimme ist hoch, sie kippt, sie erinnert mich an das Zwitschern der Vögel, wenn die Katze sich ihrem Nest nähert. Ihre Augen huschen während des Redeschwalls hin und her, rastlos. Ich werde mir noch Zeit lassen, sie zu fragen. Schließlich gehen ihr die Themen aus, sie spricht langsamer. Wir schweigen, während der Tee immer noch zieht.
    »Sagst du mir jetzt, worum es geht?«, frage ich dann nach einiger Zeit.
    Nastja schaut mich erschrocken an. Sie windet ihre Finger ineinander, dann die Füße, sie ist ganz gordischer Knoten, und ich helfe ihr nicht.
    »Ich arbeite jetzt bei Slavko«, gesteht sie schließlich.
    »Das ist nett von dir«, sage ich. »Gut, dass du an mich denkst.«
    »Du warst zwei Wochen nicht da, Diana.«
    »Das habe ich für uns gemacht.«
    »Ich auch. Der Job wäre sonst an jemanden Fremden gegangen.«
    Wir schweigen wieder.
    »Ich brauche Geld.«
    »Wir brauchen alle irgendwas, Nastja«, unterbreche ich sie. »Ich zum Beispiel brauche Ruhe.«
    »Ich seh nicht ein, warum du dich hier einschleichen kannst und ich nicht!«, schreit sie plötzlich, »Wieso nimmt dich der? Wieso nicht mich!«
    »Ich habe es dir schon erklärt, verdammt noch mal. Da geht’s nicht um mich. Es geht nicht um dich. Es geht um seinen Aberglauben. Solltest du schon mitbekommen haben, oder.«
    »Du verbündest dich mit dem Feind«, sagt Nastja leiser und versucht zu lachen, und ich sage: »Ich opfere mich für uns auf, du dumme Kuh.«
    Ich denke an Leo, an uns, wie wir im Rahmen von Slavkos Glastür stehen, draußen das Blaulicht und drinnen das Rotlicht und wir auf der Schwelle. An seine geweiteten hellen Augen, das Flattern meines Pulses, seine Zurückweisung und mein grenzenloses Entsetzen. Ich wickle mich fester in Leos Kuscheldecke ein, die beruhigend abgestanden riecht. Wenn ich daran denke, wie knapp ich damals an einem gewaltigen Rückschlag vorbeigeschrammt bin, wird mir immer noch ein wenig schwindlig. Ein Fußweg nach Hause, in der Kälte, ohne Geld, mit Nastja alleine in Wien, mit meinem Sohn ohne Medizin, das war unvorstellbar.
    Er ließ mich laufen. Er ließ mich tatsächlich laufen, mehr noch, er erschien ein paar Tage später und lud mich ein, mit ihm essen zu gehen, ich lächelte und sah mich nach Slavko um, der mir aufmunternd zunickte, während mir das Blut wieder in den Adern gefror. Aber nein, es war keine Falle, schon wieder, er meinte es nicht zweideutig, er wollte wirklich nur mit mir essen gehen. Mir eine warme Mahlzeit spendieren, so nannte er es. Wir saßen peinlich berührt schweigend da und er spendierte mir eine warme Mahlzeit in einem unscheinbaren, holzgetäfelten Gasthaus in der Nähe, in einer Seitengasse, die vom Gürtel Richtung neunten Bezirk hinunterführte. Wir saßen in den Rauchschwaden anderer Gäste und sahen uns nicht an.
    Er aß nichts, was die Situation noch weiter verschärfte, und beobachtete mich genau, bis ich den letzten Bissen Gulasch

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