Die Erdfresserin
besuche. Darunter trägt sie ihr Blond zu einem flotten halblangen Stufenschnitt verarbeitet, die Helligkeit tut ihr gut, es macht sie langweilig und jung. Ich weiß, dass sie jetzt das dunkle Haar mit einem roten Stoffband an ihrer Stirn bändigt, die Lippen rot und die Fingernägel, fast dasselbe Rot wie das meiner schwellenwaschenden Mutter ist das, ein vertrautes Rot, ein gefährliches. Das Gesicht dunkel getönt mit Bronzepuder, die Augen verschwinden hinter dunklen Balken. Wenn man sie später aus dem Bad kommen sieht, würde sogar ich sie schwer erkennen. Nastja ist sehr zufrieden mit ihrer Wandlungsfähigkeit. Nastja wartet auf die ihr von mir versprochene Rolle nach ihrer Probezeit mit Leo. Sie ist so dumm und anhänglich wie immer, wie früher, als ich ihr in Dagestan noch tatsächlich Rollen vermitteln konnte. Was für ein Glück, dass ihr nicht in den Sinn kommt, wie ich das hier in Wien bewerkstelligen wollte. Die Information, dass eine Wahrsagerin gesucht würde, für einen Film, eine mit Akzent, hat vollauf gereicht.
»Und jetzt«, habe ich ihr gesagt, »musst du mich überzeugen, denn wenn du mich nicht überzeugst, dann kann ich das auch nicht bei jemand anderem machen.«
Sie hat wortlos genickt und hat sich die Perücke besorgt.
Am Gang hängen vergrößerte Bilder von Tarotkarten, eingescannt von ihrem Bruder, und von mir heimlich bei Slavko ausgedruckt.
Ich mag die Königin der Schwerter. Streng ist sie und schmerzvoll, statisch, erbarmungslos und präzise, so, wie ich gerne wäre, so gerne wäre.
»Nastja«, sage ich schnell, »einen neuen Arzt soll er sich suchen.«
»Ist gut«, meint sie. »Ich ruf dich an, wenn er weg ist.«
Sie hängt auf, ich höre eine Weile dem Besetztzeichen zu.
Ich stelle mir vor, wie sie ihr Zimmer verdunkelt, mit ihren blau-schwarzen Vorhängen, auf die wir gemeinsam goldene Sterne genäht haben, auf dem kleinen marokkanischen Teetischchen die Räucherkegel entzündet, von denen ich immer Kopfschmerzen bekomme, und deren Geruch so gut wie nicht mehr aus den Kleidern zu bekommen ist, es sei denn, man übertönt sie mit noch schwereren Düften.
Der arme Leo stinkt jetzt immerzu nach ihr. Seine Kollegen sehen ihn scheel an, ich habe es bereits auf der Straße beobachtet, aber sein Verhalten in letzter Zeit dürfte sie daran gewöhnt haben, dass er seltsam wird und seltsam bleibt und kein Ende der Seltsamkeitssteigerung in Sicht ist. Er erzählt, dass sie ihn schätzen, dass er einer der beliebtesten Kollegen gewesen sei, früher, als er noch nicht aufgeschwemmt und hässlich und bleich gewesen ist.
Ich beobachte, wie sie hinter seinem Rücken tuscheln. Er wird wohl bald in Frühpension gehen, und dann hat er keinen Wert mehr für mich. Ich hoffe jedenfalls, dass er keinen Wert mehr für mich haben wird, ich kann einen weiteren Krüppel an meiner Seite nicht brauchen, der keinen Nutzen abwirft. Ich bin die Königin der Schwerter.
Ich seufze ein wenig, ich sehe ihn förmlich vor mir, wie er ungelenk von einem Bein aufs andere steigend an Nastjas Tür klingelt, wie die orientalische Musik, die man gerade noch wahrnehmen kann, wenn man draußen steht, sich auf einmal in einem Schwall über ihn ergießt, als sie ihm öffnet, schamlos mit ihrem Hintern wedelnd wie eine Hündin vorgeht, in das Dunkel hinein. Wie er schwitzend Platz nimmt am anderen Ende des Holztischchens, die Brille fester gegen seinen feuchten Nasenrücken drückt, und sitzt und hofft und hofft, mit allem Ehrgeiz, der ihm geblieben ist. Und Nastja senkt ihre eigentlich fistelig hohe Stimme zu einem dunklen Ton hinab – sie sagt kichernd, dass sie später davon rülpsen muss, manchmal –, senkt ihre lackierten Greifernägel auf die mit der identen Rückseite zu ihr aufliegenden Karten, und dann geht es los. Mit dieser Stimme der Madame Mireille hebt sie an, meine Bestellungen aus den bunten Kartenoberflächen herauszulesen, jede Enthüllung eine neue Botschaft, jedes Bild ein Schritt auf dem langen Weg. Seine Zukunft, seine Heilung, wenn er das täte und jenes und dann noch Folgendes.
Die Prophezeiungen variieren stark, je nachdem, was ich ihr vorher diktiert habe.
Der Gehängte ist heute besonders dominant, aber der Stern würde ihm leuchten, wenn er, frei nach der Königin der Münzen, sich ein wenig von materiellen Dingen entfernen und sich einen klaren, kraftvollen Kopf im nun hievon gereinigten Energiekörper bewahren würde. Er schielt halb neugierig, halb abgestoßen auf ihre Hände, auf
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