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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julya Rabinowich
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vorbeigetragen werden. Hinter der Absperrung zieht eine Prozession dahin, zieht aus dem Dom über den abgesperrten Graben, unter der Pestsäule hinweg, zieht langsam, langsam Richtung Kapuzinergruft, von der sogar Leo weiß, nicht aber ich, weil ich mich weigerte, mit ihm diesen Ausflug zu unternehmen.
    Schade, denke ich mir, jetzt weiß ich nicht, wohin sie alle gehen, weiß nicht, wo die Absperrung aufhört, nicht, wie lange das alles noch dauern wird. Eine der vier Stunden ist um.
    Leo bleiben noch drei mal sechzig Minuten Anspannung.
    Wir gehen wieder fünf Schritte. Der Polizist links versucht, nicht allzu auffällig in der Nase zu bohren. An ihm vorbei geht nun eine ganze Abteilung Männer, gekleidet in krachlederne Hosen, Hosen mit einem lächerlichen Steg zwischen den grün gefassten Trägern, bestickt mit Hirschhornknöpfen. An den haarigen, nackten Waden grobgestrickte Stutzen, an deren Saum schwarze Quasten baumeln. Sie tragen diese Latzhosen, die ihnen etwas Kleinkindhaftes verleihen, voller Stolz, und ebenso stolz tragen sie zu den Lätzen und den Stutzen auch echte Bajonette, deren Klingen in der Sonne glänzen. Eine Reihe passiert mich, die nächste, im Takt der Musik. Irgendwo muss eine Kapelle spielen, aber ich kann weder Anfang noch Ende des Zuges erkennen, sie werden sich noch lange, lange weiterwälzen, geziemenden Schrittes, sie sind aus allen Ecken und Enden Österreichs hierhergekommen, um ihre letzte Ehre zu erweisen. Die Federn wogen über den verschwitzten Stirnen. Die Gesichter sind bitterernst. Die Bewegungen betont langsam, Zeitgeschichte in Zeitlupe.
    Lasziv, denke ich mir wieder, Showgirls sind ein Dreck dagegen, und dann denke ich noch, dass wir seinerzeit für solchen Kopfschmuck gemordet hätten, Nastja und ich. Wie schön dieses Rabenglänzen gewesen wäre zu unserem noch dunkleren Haar, stahlblau im Licht der Nachtlokale, die Münder schnell geöffnet und die Geldbeutel auch.
    Die Federabteilung ist vorbei, nun kommen welche in rotem Samt, dahinter in gelben Kostümen, mit Säbeln in blauen Futteralen, mit kleinen Hütchen, keck schief auf den Köpfen sitzend. Es ist die reinste Modeschau, die zwischen provokativ und ländlich changiert. Ich bin fasziniert, ich habe so lange fasziniert getan, bis ich es wirklich fühle, ich denke kaum noch daran, dass ich nun dem nasebohrenden Polizisten fast gegenüberstehe. Er hält seine linke Hand vor die Nase und hebt die rechte immer wieder verstohlen hoch, während der andere gelangweilt auf seine Schuhspitzen starrt. Vermutlich stehen sie schon seit langer, langer Zeit hier, und die Pracht des Umzuges hat seine Wirkung auf sie verloren.
    Ein Raunen geht durch die Menge, ein ansteigendes Rauschen, wie eine Welle rollt das Geräusch näher an uns heran. Ich sehe in einiger Entfernung den Sarg, den acht Männer tragen, edles glänzendes Holz, darüber eine schwere Samtdecke, auf der ein schwarzer doppelköpfiger Adler abgebildet ist. Die Decke wirft Falten und der Adler verrenkt sich aufs Ungebührlichste.
    Das ist er. Ein kleiner zarter Körper, von schwerem Holz umschlossen.
    Ein Aufseufzen geht durch die Menge, ich seufze mit, wir machen einen erneuten Ruck nach vorne, alle zusammen ein großes Einatmen und Ausatmen und Vorwärtswerfen, um näher an ihm zu sein.
    Ich berühre den Polizisten nun an der Hand, die er auf das Geländer gelegt hat, als ob er den Druck der Masse mit seinem Arm aufhalten könnte. Er sieht hoch, er sieht mir ins Gesicht, aufmerksam, er will etwas sagen, ich spüre, wie sämtliche Farbe aus meinem Gesicht entweicht, meine Füße werden kalt und mein Kopf heiß, mein Herzschlag schwerer als das Glockenläuten der weltberühmten Pummerin. Er öffnet den Mund und ich werfe mich verzweifelt gegen das Gitter, schlage mit der Hand darauf und brülle: »Ich muss da durch, ich muss in mein Geschäft, lassen Sie mich da durch!«
    Und er sagt: »Ich kann Sie nicht durchlassen, der ganze Graben ist gesperrt, Sie müssen warten.«
    Und ich schreie noch lauter, dass ich Kosten haben werde und Ärger mit den Kunden, und er soll mich augenblicklich, augenblicklich passieren lassen, sofort!
    Und er verdreht die Augen und spult einen Satz herunter, den er heute vermutlich schon unzählige Male von sich gegeben hat: »Sie können da jetzt nicht durch, aber Sie können eine Honorarnote an die Habsburger stellen, wegen beerdigungsbedingtem Verdienstentgang.«
    »Frechheit!«, brülle ich und tue so, als hätte ich ihn verstanden,

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