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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julya Rabinowich
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Raben waren schon längst in den Süden gezogen, ich wusste noch nicht, dass auch ich das später tun würde, die Raben und ich würden erst in Wien und dann in Italien überwintern. Die Eiskruste auf der oberen Schicht der Schneewehen funkelte die Sonne in den Himmel zurück, dort, wo sie nicht hinkam, lagen Schatten totenhautbläulich zwischen den Bäumen. Wir schlitterten auf den vereisten Flächen dahin, vergossen das Wasser, mussten umkehren und noch einmal schöpfen. Wir traten uns unterwegs, wenn eine ungeschickter wurde als die andere, und zerkratzten uns die Gesichter, sollte dabei ein Kübel entglitten sein, wie wilde Katzen, denn wir durften nur zu zweit gehen und natürlich ergab sich daraus, dass wir zu zweit umkehren mussten, um das verschüttete Wasser zu ersetzen. Wir trugen dicke Handschuhe, die, durchtränkt vom Brunnenwasser, an unsere Finger froren, und dicke Filzhüllen über unseren Lederstiefeln, die unsere Bewegungen lautlos und tolpatschig machten, wie Bären, die im Luftleeren tanzen gingen.
    Die Soldaten sangen uns lustige Lieder vor, vor allem abends, wenn die Stimmung stieg und das Feuer im Kamin brannte. Wir durften auf ihrem Schoß sitzen, während die Wein- und Wodkaflaschen ihre Runden machten und die Stimmen immer gröber wurden, immer lauter, manchmal brachen sie mitten im Lied ab oder ersetzten die auch uns Kindern altbekannten Zeilen der Volksmusik mit Unanständigkeiten. Meine Mutter wurde rot und ihre Lippen wurden ganz weiß und schmal, aber sie wagte nicht, uns mit den Männern alleine zu lassen. Ich saß auf vielen, vielen unterschiedlich riechenden Männerknien und Männerschenkeln und Männerschößen und fragte mich, was wohl darunter war, unter dem groben Stoff, unter der groben Haut. Sie waren warm, sie waren fremd, aber erinnerten mich trotzdem an Vater, mit dem herben Geruch der Kleider, mit ihrer Breite und der Festigkeit. Sie ließen mich Hoppahoppareiter spielen und manchmal bildete ich mir ein, mehr an meinen Hinterbacken zu spüren als Stoff und Muskeln, manchmal bekam ich Angst, manchmal fand ich es einfach nur fremd und dadurch spannend, diese unmerklichen, halb verborgenen Bewegungen hinter dem Stoff.
    Diese Bewegungen erinnerten mich später immer wieder an die Schwingungen des Vorhangs, bevor er gelüftet wurde, wenn man im Saal saß, im roten Samt, mit Blick auf die Bühne, die noch verschleiert war, als müsste sich die Geschichte erst dahinter zusammenbrauen, als entstünde alles das erst, was schon längst geprobt und festgelegt, auswendig gelernt worden war, erst mit diesen leichten Bewegungen der vorübereilenden Schauspieler und Requisiteure auf der anderen Seite des Vorhangs.
    Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

»Gibt es etwas, das Ihnen Freude macht?«
»Ja. Rosen.«
    14
    Ich liebe meine Rosen, ihren Duft, ihre Blätter, zu verlockenden Kelchen geformt aus Hunderten kleinen zarten Blättern, zarter als die Lippen eines jeden jungen Mädchens, rot, gelb, orange, zarter Farbverlauf von innen nach außen, und ihre resoluten Dornen, die jeder zu spüren bekommt, der sich ungebührlich schnell nähern will.
    Diese Blumen haben das, was ich nie haben konnte, Leichtigkeit, Distanz, Schönheit ohne Zweck, ihr Duft erinnert mich an unseren Garten, an die Ecke, die mir gehörte, wo ich Rosen zog, eine alte Nachbarin hat mir ein Stöckchen geschenkt, weil sie zu Recht ahnte, es bald nicht mehr zu benötigen. Sie sagte, ein junges Mädchen und ein kleines Stöckchen würden besser zueinanderpassen als sie altes Weib mit ihren knorrigen Fingern, die von der Gicht in wunderliche Formen gedreht worden waren.
    Ich setzte den Stock in einem entfernten Winkel des Gartens ein, weil ich fürchtete, meine Mutter könnte fragen, woher er stamme, und ihn entwurzeln und entfernen, aber sie beachtete den Störenfried lange Zeit nicht, denn meine Schwester war im Frühling an einer schlimmen Darminfektion erkrankt und lag nun gelb und grün in den Kissen und spie, was meine Mutter lange auf Trab hielt.
    Als er größer wurde und blühte, ließ meine Mutter dies geschehen, als eine Art Opfer für die Gesundung meiner Schwester, die, ungewohnt zierlich geworden, auf unserer Terrasse saß, mit einer warmen Decke um die hageren Schultern, und ihren Kamillenblütentee trank, den meine Mutter ihr literweise einflößte.
    Die Rosen waren gelblich orange, eine seltene, eigenartige Farbmischung, ich hatte diese Art zuvor niemals gesehen, viele

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