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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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ein Paar sind?«, fragte sie.
    »Vielleicht«, sagte er und war sich nicht sicher, ob er damit nicht alles vermasselt hatte.
    »Ja, vielleicht«, wiederholte sie. »Wir werden sehen. Und jetzt zeig mir, ob du die Kraft der zwei Eier hast, Ilja Rogoff.«
    »Du bist hübsch kindisch für dein Alter«, sagte er.
    »Hauptsache hübsch«, sagte sie.
    Er verspürte eine sagenhafte Freude; am liebsten hätte er angefangen herumzuspringen und mit Kissen zu werfen; doch er war der Sklave von Evelins Händen und daher unabkömmlich. Sie bestieg ihn, und er streckte sich unter ihr aus, angespannt und erlöst zugleich, und während ihr der Schweiß in einer glänzenden Spur zwischen den Brüsten hinunterlief und sie, vom flackernden Kerzenlicht beschienen, aufrecht sitzend über ihm ritt, sah er das Gesicht eines Mädchens, das seine Frau war.
    Da wusste er, dass er niemals der Mann einer anderen sein könnte. Und dass sein windiges Leben ein tägliches Geschenk war und er vielleicht endlich bereit, es anzunehmen.
     
    Nach der fünften Ohrfeige schlug er zurück, aber er traf nicht, sein Arm schoss ins Leere, und er stolperte über seine eigenen Füße. Auf dem Boden lagen zerbrochene Biergläser, ein Obstmesser und kreuz und quer Schuhe; ein Stuhl war umgekippt, und unter dem Fensterbrett hatte sich eine Pfütze gebildet, nachdem eine halb volle Coladose runtergefallen war. Im hell erleuchteten Zimmer, in dem es nach Schweiß und verbrannter Milch roch, die auf dem Küchenherd übergelaufen war, tobte ein Kampf. Und Frank Oberfellner war der Verlierer.
    »Wenn du dich nicht wie ein Arschloch benommen hättst, dann wären wir jetzt nicht arbeitslos!«, schrie August Anz zum wiederholten Mal, packte seinen Freund am Hemdkragen und schüttelte ihn.
    »Hör auf! Aufhören, du Depp!«
    Gustl trat gegen die Wand, Putz bröckelte ab, und es klang hohl.
    »Ich will das endlich kapieren, wieso du den Jungen laufen gelassen hast, wieso? Ich kapier das nicht, ich kapier das nicht!« Es gab nicht mehr viele Dinge in diesem Raum, an denen er seinen Zorn auslassen konnte, der beschissene Schrank, der beschissene Fernseher …
    »Das ist doch jetzt vorbei«, sagte Oberfellner und überlegte, ob es klug war, sich zu setzen, oder ob es besser wäre, stehen zu bleiben und keine Angst zu zeigen.
    Niemand kannte Gustl so gut wie er, und kaum jemand außer ihm hatte Gustl schon erlebt, wenn er ausrastete und Dinge tat und behauptete, die nicht zu begreifen waren; normalerweise hatte er sich gut in der Gewalt, doch manchmal brach ein Sturm aus ihm heraus, den man nie in ihm vermutet hätte.
    Oberfellner blieb stehen.
    »Du bist schuld, wenn dem Jungen was passiert, du bist schuld!«, brüllte Gustl und boxte gegen den Türrahmen.
    »Hör doch auf, das tut doch weh!«, sagte Oberfellner.
    »Halt dein Maul, du Verräter!«
    »Ich bin kein Verräter!«
    Mit zwei riesigen Schritten kam Gustl auf ihn zu, Oberfellner hob die Hände vors Gesicht, was ihm nicht das Geringste nützte; die Faust durchschlug die Handwand wie ein Blatt Papier und krachte gegen sein Kinn; dann warf Gustl seinen Freund, dem alles viel zu schnell ging, auf den Boden und stellte sich mit gespreizten Beinen über ihn. Voller Angst starrte Oberfellner ihn an und traute sich nicht, einen Laut von sich zu geben; er blutete aus dem Mund, und sein Gesicht fühlte sich an, als wäre es verrutscht.
    »Du bist schuld, und jetzt muss ich wieder von vorn anfangen! Wegen dir, du armseliger Hund, du! Soll ich vielleicht stempeln gehen, du? Steh auf! Du sollst aufstehen!«
    Da Gustl sich nicht von der Stelle bewegte, musste Oberfellner erst ein Stück nach hinten rutschen. Dann zog er die Beine an und kam langsam und wachsam in die Höhe. Sie standen so dicht voreinander, dass sich fast ihre Nasen berührten.
    »Hast du was zu sagen?«, fragte Gustl, und sein Gesicht war eine graue Karstlandschaft.
    Oberfellner schüttelte den Kopf.
    »Gut«, sagte Gustl, »von heute an haben wir nichts mehr miteinander zu tun, ich werd …«
    »Aber warum denn? Wir sind doch Freunde, Gustl, ich … ich hab alles so gemacht, wie du’s gesagt hast, das weißt du doch, ich hab den Bullen nichts verraten, das ist nicht wahr, die haben mich ausgequetscht, aber ich hab dichtgehalten, und das ist die Wahrheit.«
    Blut lief ihm aus dem Mund, und er wischte es hastig mit dem Handrücken ab.
    »Und wer hat die Zahnbürste in meiner Wohnung vergessen und die Socken? Ich vielleicht? Ich nicht!«
    Oberfellner

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