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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Recorder lauter zu stellen. Unter der blauen Baumwolldecke waren sie nackt und hielten sich an den Händen wie schüchterne Kinder. Durch das gekippte Fenster drangen Stimmen herein, das Klingeln einer Fahrradglocke, Autohupen. Es war Samstag Nacht, zwölfter September. Sie hatten gut gegessen, Ente mit Orangenscheiben, Huhn mit Gemüse, scharfe Suppen und eine kalte Sommerrolle, in der Hoffnung, die Feinde des Sommers damit zu besänftigen. Danach waren sie zu Südens Wohnung in dem grünen Haus in der Deisenhofener Straße 111 gefahren, hatten sich gegenseitig ausgezogen und sich eine Stunde lang geliebt. Ihr Übermut endete so gleichzeitig wie er begonnen hatte, und jetzt suchten ihre Gedanken sie wieder heim, und sie wurden sie nicht los.
    »Morgen geh ich zu Raphael und rede mit ihm«, sagte er.
    »Und wenn seine Mutter dich wieder nicht zu ihm lässt?«
    »Ich werd’s schon schaffen.«
    Draußen stieß jemand einen langen Pfiff aus, und jemand anderes antwortete auf dieselbe Weise.
    »Bereust du es, dass du zurückgekommen bist?«, fragte Sonja.
    »Ich hab keine Sehnsucht nach dem Wald. Höchstens nach Asfur. Aber der kommt auch ohne mich zurecht.«
    »Erzähl mir von ihm!«
    »Ein andermal.«
    Die Pfeifer unten im Hof steigerten ihr Duell und gaben immer schrillere Töne von sich. Süden beugte sich aus dem Bett und griff nach der Bierflasche, die er in Reichweite auf den Boden gestellt hatte; er trank einen Schluck und gab sie Sonja.
    »Möge es nützen«, sagte sie und tippte mit der Stirn an die Flasche.
    »Möge es nützen«, sagte Süden und schaute zur Wand.
    Sonja stellte die Flasche neben das Bett und streichelte ihre Brüste.
    »Ich möchte, dass du noch mal mit mir schläfst«, sagte sie.
    »Jetzt gleich?«
    »Wann denn sonst?«
    Er schlug die Decke zurück, kletterte aus dem Bett und schloss das Fenster. Vor Ohrenzeugen beim Sex genierte er sich auch mit dreiundvierzig Jahren noch.
    … Wide awake but still dreaming,/There was nothing on this earth could make me tired,/But memories don’t make it easier./So Goodnight, wherever you are sleeping …
     
    In den Hüften war sie üppiger als er, dafür hatte er mit Abstand den größeren Bauch; als sie beide vor dem Spiegel standen und sich betrachteten, war er es, der als Erster wegsah und Ausschau nach dem Sektkübel hielt.
    »Gefall ich dir nicht?«, fragte Evelin Sorge und entdeckte erschrocken eine neue Falte am Hals.
    »Doch, das weißt du doch«, sagte Paul Weber. Wahrscheinlich hatten sie den Kübel im Wohnzimmer stehen lassen, und es beunruhigte ihn, dass er es nicht mehr genau wusste.
    »Was suchst du denn?« Sie fuhr sich mit dem Finger über den Hals und beugte sich näher zum Spiegel hin. Manchmal kam sie sich mit ihren zweiundvierzig Jahren wie zweiundfünfzig vor; wahrscheinlich färbten der Tod und die Krankheiten, von denen sie als Krankenschwester dauernd umgeben war, auf sie ab und ließen ihre Haut schneller altern.
    »Ich such gar nichts, ich leg mich wieder ins Bett«, sagte er ratlos.
    »Mach das, ruh dich aus!«
    »So anstrengend war es auch wieder nicht«, sagte er und sah irritiert zu ihr. »Hast du was?«
    »Findest du, dass ich alt ausseh?«, fragte sie und hörte nicht auf, an sich herumzupulen.
    »Du bist doch nicht alt!
Ich
bin alt.« Unschlüssig stand er vor dem Bett und dachte auf einmal, ob es unhöflich wäre, wenn er sich einfach wieder hinlegen würde; so, als wäre er hier zu Hause; so, als hätte er seine Arbeit getan und müsste jetzt erst mal ein Nickerchen machen. Seit dem Tod seiner Frau vor fünf Jahren hatte er mit keiner Frau mehr geschlafen. Das war heute Nacht eine Premiere gewesen, eine Art Wiederaufnahme einer fast vergessenen Inszenierung.
    Ohne dass er es bemerkt hatte, war Evelin näher gekommen. Sie sah ihn an.
    »Stimmt was nicht?«, fragte er.
    »Das ist wirklich eine Mordskugel«, sagte sie und lächelte.
    »Das ist die Heimat des Bieres«, sagte er und patschte mit der flachen Hand auf seinen nackten Bauch. An seinen Diäten war er jahrelang gescheitert, doch er gab noch immer nicht auf, er sah nicht ein, wieso es ihm auch mit einundsechzig nicht gelingen sollte abzunehmen.
    »Ich dachte, du wolltest dich wieder hinlegen«, sagte sie.
    »Ja, also …«
    »Dann wärm das Bett, ich komm gleich wieder.« Sie verschwand aus dem Zimmer, und er roch wieder ihr süßes Parfüm, das ihm aufgefallen war, als er zum ersten Mal mit Sonja Feyerabend hier war, in jener Nacht, in der sie Evelin aufgeweckt

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