Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
bewusst, was sie gerade mit angesehen hatten: die Kapitulation eines Polizisten.
     
    »Hast du uns noch irgendwas zu sagen?«
    Tabor Süden hatte ihnen nichts mehr zu sagen, weder Karl Funkel noch Volker Thon noch Sonja Feyerabend.
    »Du kommst wieder groß in die Zeitungen, Kollege
Seher
«, sagte Thon. »Der Anwalt wird die Sache zu einem Großereignis polizeilicher Willkür hochstilisieren, ich gratuliere!« Er betrachtete Südens Dienstmarke, die auf dem Tisch neben dem Pistolenhalfter und dem Dienstausweis lag. »Ich bin sehr enttäuscht von dir, Tabor, wir sind alle enttäuscht. Und ich sehe nicht ein, warum ich dich hier rausgehen lassen soll, ohne dass du mir vorher sagst, warum du das getan hast. Warum, Tabor?«
    »Ich hab es getan, und ich bereue es nicht«, sagte Süden.
    »Tab! Wach auf, Mensch!«, sagte Funkel. »Im Moment bist du vorübergehend suspendiert, aber wenn du keine Erklärung abgibst, irgendwas, lass dir was einfallen, dann wirst du nie wieder einen Fuß in dieses Dezernat setzen. Nie wieder! Und, verdammt nochmal, du musst dich bei dem Mann entschuldigen, Tab! Er hat nur ein paar Prellungen, Gott sei Dank! Wenn er nicht so betrunken gewesen wäre und sich gewehrt hätte, wer weiß, was noch alles passiert wär! Du musst dich entschuldigen, und ich möchte, dass du es sofort tust. Geh runter und sag ihm, du hast die Nerven verloren, du bist überarbeitet, Hauptsache, du entschuldigst dich, und zwar in Gegenwart seines Winkeladvokaten, der sofort, nachdem du raus warst, die Presse über deine Aktion informiert hat.«
    »Nein.«
    Funkel schüttelte den Kopf, warf Sonja Feyerabend einen ratlosen Blick zu und fing an, sich eine Pfeife zu stopfen. »Geh jetzt, Tabor! Ich erwarte eine schriftliche Erklärung von dir, und zwar innerhalb der nächsten drei Tage. Geh zum Arzt, zum Psychologen, hör auf Sonja, hör ihr gut zu, was sie dir zu sagen hat, und schlaf dich aus! Wiedersehen.« Er widmete sich seiner Pfeife.
    Thon erhob sich. »Ich hab dich überschätzt, Tabor, ich dachte, du kämst wieder auf die Spur, aber das war ein Irrtum. Du bist nicht mehr teamfähig, du bist unberechenbar, du bist einzelgängerisch, und so jemanden können wir hier nicht gebrauchen. Ich glaube nicht, dass du jemals in den Polizeidienst zurückkehren wirst, ich werde mich jedenfalls nicht dafür verwenden.« Er hielt inne, sah ihn an und räusperte sich. »Alles Gute, Tabor, ich rate dir, geh zu einem guten Arzt, lass dir helfen! Alleine schaffst du es nicht.« Er überlegte, ob er ihm die Hand geben sollte, entschied sich dagegen und ging hinaus.
    »Ich fahr dich nach Hause«, sagte Sonja.
    »Ich geh zu Fuß«, sagte Tabor.
    »Nimm ihren Vorschlag an!«, sagte Funkel.
    Süden steckte die Hände in die Jackentaschen und verließ Funkels Büro, ging den Flur entlang, die Treppe hinunter und auf die Straße hinaus, wo einige Journalisten schon auf ihn warteten.
    »Ist es wahr, dass Sie den Verdächtigen verprügelt haben?«
    »Hat man Sie entlassen, Herr Süden?«
    »Warum haben Sie das getan?«
    »Wollen Sie eine Erklärung abgeben?«
    Sie folgten ihm eine Weile und redeten auf ihn ein, bis sie einsehen mussten, dass sie von ihm keine Antwort erhalten würden. Er bog in die Sonnenstraße ein, überquerte nach knapp einem Kilometer den Sendlinger-Tor-Platz und ging durch die Fraunhoferstraße in Richtung Giesing.
    Vor dem grünen Haus, in dem er wohnte, blieb er stehen, rang nach Luft und streckte die Arme in den Himmel. Dann sperrte er die Haustür auf, rannte die Treppe in den dritten Stock hinauf, verriegelte die Wohnungstür, warf die Lederjacke über den Kleiderständer im Flur und setzte sich im Wohnzimmer auf den Boden. Und gab sich bewegungslos einem Tanz hin, der ihn langsam, sehr langsam von den gläsernen Kobolden befreite, wie sein Freund Martin die namenlosen Schmerzen genannt hatte, die in ihm wüteten.
     
    Als es an der Tür klingelte, machte er nicht auf. Als das Telefon klingelte, ging er nicht dran. Als er das Haus verließ und über den asphaltierten Weg zur Straße gehen wollte, fuhr ein blauer Wagen auf ihn zu und hielt vor ihm an. Es war fast dunkel, und die Scheinwerfer blendeten ihn.
    Vom Fahrersitz aus gesehen, wirkte er in dem grellen Licht wie ein schwarzer schwerer Koloss.
    Er gab sich einen Ruck und kam näher; er öffnete die Beifahrertür, ohne sich zu bücken, und wartete. Dann stieg er ein und schlug die Tür zu.
    »Danke«, sagte Sonja.
    »Hast du bei mir angerufen und an der Tür

Weitere Kostenlose Bücher