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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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blödes Kind, aber er war kein blödes Kind. Er wusste genau, was er wollte, auch wenn er erst neun war, und er wünschte sich, dass seine Mama ihn so sehr vermisste, dass sie daran starb, und sein Vater auch; sie sollten beide sterben und in der Erde verschwinden. Opa Georg war nicht in der Erde, davon war er fest überzeugt, auch wenn sie auf dem Friedhof gewesen waren und ein Loch in die Erde gebuddelt hatten, da unten gehörte sein Opa nicht hin, sondern ganz woandershin. Bald würde er bei ihm sein, denn wenn man sich ganz fest was wünscht, dann kriegt man das auch. Und er freute sich so sehr darauf, ihn wieder zu sehen, sie würden sich dann nie, nie wieder trennen, nie, nie wieder voneinander weggehen.
    »Komm, komm, her zu mir!«
    Die Stimme störte ihn, und er rutschte hinüber, weil er dann nicht reden musste.
    »Frank ist bestimmt nicht tot«, sagte Gustl und drückte den Jungen an sich. »Er hat geblutet, aber er erholt sich wieder. Er wollte dich zur Polizei bringen! Hätt ich das zulassen sollen?« Sie hatten was getrunken, nachdem Raphael plötzlich in der Tür gestanden hatte, und dann war Frankyboy nicht mehr zurechnungsfähig gewesen, verdammt, fuchtelte im Suff und in seiner Scheißangst mit dem Messer rum, ich hätt’s ihm wegnehmen sollen, wieso hab ich ihm das Scheißding nicht einfach aus der Hand geschlagen? Wieso hab ich nochmal angefangen mit ihm zu raufen? Wieso hab ich das getan? »Das war doch nur ein kleiner Streit.«
    »Und warum sind wir dann weggelaufen?«
    »Weil …« Warum? Warum? »Weil sonst die Polizei gekommen wär, und die hätt dich zu deiner Mutter zurückgebracht, und das wolltest du doch nicht, oder?«
    Die Worte streiften an ihm vorbei; Gustl hatte keine Ahnung, aber er hatte ein Auto, und damit kämen sie sicher ans Ziel. Das hatte Gustl versprochen, und wenn er gelogen hatte, dann schaff ich’s auch allein, dachte Raphael; er hatte schon viel allein geschafft. Ich bin nämlich schlau, schlauer als alle Polizisten und schlauer als Gustl, der denkt, er könnt sich jetzt als Papa aufspielen, ich hab keinen Papa mehr, ich bin allein auf der Welt, ich bin ein Waisenkind. Das hatte er sich immer gewünscht: Dass ihm niemand was vorschreibt und dass er machen kann, was er will. Und er wollte seinen Opa besuchen, denn der wartete schon auf ihn, schon drei Wochen oder vier, der wartete bestimmt schon sehnsüchtig auf ihn, so wie
er
sehnsüchtig auf seinen Opa wartete.
    »Freust du dich aufs Wasser?«, fragte Gustl und streichelte ihm die Wangen.
    »Ja«, sagte Raphael.
    »Ich mich auch.« Langsam wurde er ungeduldig; wenn sein Kumpel ihn versetzte, würde die Sache eng werden. Wenn’s brenzlig wurde, müsste er notfalls den Jungen irgendwo verstecken. Oder ihn alleine losschicken, aber das war undenkbar. Er war ein prima Junge, eigentlich war er ja ein Zeuge, ein gefährlicher Zeuge, aber er liebte ihn, und der Junge würde ihn nie verraten, das wusste er. So ein Arschloch, dieser Frankyboy! Selber schuld; ganz genau, du bist nämlich selber schuld, dass alles so gekommen ist. Er könnte noch leben, verdammt! Dass er noch lebte, hielt Gustl für ausgeschlossen; so wie der ausgesehen hatte, mit diesem Schnitt an der Gurgel, der war erledigt. Und der Junge hatte alles mitgekriegt. Das war schlimm, so was darf ein Kind nie sehen, das bringt es nicht mehr los, was es gesehen hat, das brennt sich ein fürs komplette Leben. Taucht der Kleine auf einmal mitten in der Nacht auf und sagt, er ist abgehauen, und diesmal endgültig! Besser wär’s, sein Alter, der ihn dauernd verprügelt hat, wär jetzt tot statt Franky, der Trottel. Du Trottel, du Depp, du besoffener Blödmann! Okay, das ist das Schicksal, kannst du nicht ändern, es kommt, wie’s kommt, verstehst du? Es kommt, wie’s kommt. Ich bin kein Mörder. Ich werd auf den Kleinen aufpassen, er ist mein Junge, und niemand wird ihm jemals wieder wehtun, das schwör ich dir!
    Vor der Garage hielt ein Auto, die Scheinwerfer erloschen, und ein Mann stieg aus. Gustl atmete erleichtert auf.
     
    Es war ihnen nicht gelungen, den Hausmeister zu veranlassen, oben im Parterre auf sie zu warten. Wie ein stocksteifer Schweizer Gardist stand er in der Kellertür und beobachtete jede ihrer Bewegungen; wobei es hauptsächlich Tabor Süden war, der vor der Gleisanlage hin- und herging, sich bückte, den Kopf neigte und die vielen Gegenstände, Figuren, Miniaturhäuser ausgiebig betrachtete.
    »Suchen Sie was Bestimmtes, Herr Kommissar?«,

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