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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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deren Tür offen stand«, sagte Stern.
    »Sehr gut«, sagte Vogel, »so war’s. Die Tür war aber nicht offen, sondern angelehnt. Angelehnt. Jemand hat wahrscheinlich vergessen, sie zuzumachen.«
    »Wer?«
    »Der Mörder, schätz ich, oder?« Er sah seinen Anwalt an, der ihm zunickte. Warum er sich nicht längst hingesetzt hatte, verstand Frazek selber nicht. Wie viele Whiskys hatte er letzte Nacht getrunken? Zu viele jedenfalls, um einen Prozess zu gewinnen.
    »Und dann sind Sie mit dem Auto wohin gefahren?«
    »Ins
Schillercafé.
Wodkatonic frühstücken. Was dagegen, Meister?«
    »Wie sind Sie denn in das Haus von Frank Oberfellner reingekommen?«
    »Ich hab einfach die Tür aufgemacht, die war nicht verschlossen, das Schloss ist aufgesprungen. Scheint ein echt gastfreundliches Haus zu sein. Ich werd mal den Frauen da einen Besuch abstatten.« Er grinste, und für einen Moment fielen ihm die Augen zu.
    »Sie blieben also an der Wohnzimmertür stehen und sind nicht ins Zimmer hineingegangen?«, fragte Stern. Was ihn mehr und mehr verunsicherte war, dass er Vogels Version nicht für abwegig hielt.
    »Sag ich doch, Mann! Der Scheißer lag da, alles voller Blut, und war alle. Den gab’s nicht mehr, der war gewesen. So war’s und nicht anders. Ich hab mich wieder vom Acker gemacht.«
    »Haben Sie die Tür zugemacht?«
    »Was hab ich?«
    »Die Wohnungstür, haben Sie sie zugemacht, als sie die Wohnung verließen?«
    »Hab ich nicht drauf geachtet. Ist doch egal!«
    Die Tür war zu gewesen, sonst hätte die Nachbarin nicht den Hausmeister holen müssen.
    »Denken Sie nach, Herr Vogel!«
    »Ja, ich glaub, ich hab sie zugemacht. Automatisch. Ja, ich glaub schon. Kann ich jetzt gehen?«
    »Warum haben Sie nicht die Polizei verständigt?«
    »Wieso denn? Ist das mein Problem?«
    »Das sehen Sie doch, dass das Ihr Problem ist«, sagte Stern und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Lange würde er es nicht mehr ohne Zigarette aushalten.
    »Sie sehen, mein Mandant hat mit dem Mord nichts zu tun«, sagte Frazek, und Vogel nickte.
    »Ich sehe gar nichts, ich bin kein Seher, ich bin Polizist …« Es war eine komische Bemerkung, und er hatte gehofft, Süden würde auf sie reagieren; doch der schien auf nichts zu reagieren, stand wie angewurzelt da und starrte Vogel an, oder durch ihn hindurch. »Wir machen jetzt eine kurze Pause, ich empfehle Ihnen, Herr Frazek, sich noch einmal mit Ihrem Mandanten zu beraten, und dann würde ich gern die ganze Wahrheit hören, ich will wissen, was passiert ist, und wenn Ihr Mandant tatsächlich nichts mit dem Verbrechen zu tun hat, dann werden wir prüfen, ob er sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht hat …«
    »Hey, hey!«, sagte Vogel und hob drohend den Arm.
    »Reden Sie mit ihm, Herr Frazek, machen Sie ihm endlich klar, wie ernst die Situation ist! Wir lassen uns nicht länger von Ihrem Mandanten ins Bockshorn jagen.«
    »Ja, Herr Stern«, sagte Frazek, erleichtert, dass ihm der Name wieder eingefallen war.
    »Fünfzehn Minuten Pause«, sagte Stern und beugte sich vor, um den Kassettenrecorder auszuschalten.
    »Noch eine Frage, Herr Vogel.«
    Es war Tabor Süden. Alle Augen richteten sich auf ihn.
    »Ist es wahr, dass Sie regelmäßig ihre Frau schlagen und ihren neunjährigen Sohn so schwer verprügelt haben, dass er tagelang nicht aufstehen konnte?«
    Vogel sah ihn mit halb geöffnetem Mund an. Dann blickte er über die Schulter nach hinten zu seinem Anwalt.
    »Was geht diese Type eigentlich meine Familie an, ha?«
    Kaum hatte er sich wieder herumgedreht, da passierte etwas, das nicht nur Thomas Vogel, sondern auch die anderen im Raum noch Stunden später kaum fassen konnten.
    Süden ließ seine Arme, die er verschränkt vor der Brust gehalten hatte, fallen, richtete sich auf, atmete tief ein, packte Vogel an den Schultern, hob ihn hoch, so dass seine Beine in der Luft baumelten, sah ihm in die Augen, die ihn fassungslos anstierten, und warf ihn zu Boden. Auf die gleiche Weise wie er die beiden jungen Männer in dem Taginger Elektrogeschäft behandelt hatte. Vogel plumpste mit dem Hintern auf das harte Linoleum, blieb einige Sekunden steif sitzen, kippte dann zur Seite und bewegte sich nicht mehr.
    Süden wischte sich die Hände an seiner Lederjacke ab und ging wortlos aus dem Zimmer.
    Erst das leise Wimmern, das aus der Ecke unter dem Fensterbrett kam, wo Thomas Vogel mit gekrümmten Armen und Beinen lag, brachte die Anwesenden in die Gegenwart zurück und machte ihnen

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