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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Zigarillo an.
    »Sie ist einfach stur«, sagte er.
    Auf der Herfahrt hatte sich Florian Nolte die komplette Geschichte der Nachtfalken anhören müssen, die Freya ihm in allen Einzelheiten erzählte. Er hatte kein Wort verstanden, was nicht nur an ihrer verwirrenden Darstellung lag, sondern daran, dass er kaum Fernsehen schaute und wenn, dann keine Krimiserien, sondern Sport. Freya war ganz nervös vor Aufregung gewesen, als sie klingelten und ihr Starschauspieler leibhaftig die Tür aufmachte.
    Jetzt, im schicken Wohnzimmer am englischen Esstisch, wartend, zum Nichtstun verurteilt, kam sich Nolte vor wie einer, den man vergessen hatte, und er wusste nicht, was er reden sollte. Dafür hatte er schon oft eine Rüge kassiert, aber was blieb ihm übrig? Er stellte Fragen, und das war’s dann, er war kein Plauderer, er hatte nichts zu erzählen so wie Freya, die sämtliche Krimiserien auswendig kannte, und mit wem konnte man sich nicht über eine Krimiserie unterhalten?
    »Möchten Sie nicht doch ein Glas Wein, Herr Kommissar?«, fragte Jasmin.
    »Nein, danke.« Er schaute, zum zwanzigsten Mal, in Richtung Flur. Kein Wort, kein Schritt, keine Freya. Ihn nervte das Herumsitzen so sehr, dass er aufstand und sich einmal im Kreis drehte, was das Ehepaar mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm. Der Parkettboden knarzte, und Nolte dachte darüber nach, was so eine Wohnung wohl kostete.
    Im Kinderzimmer duellierten sich die beiden noch immer mit ihrem Schweigen. Leise tickte der große bunte Wecker, und von draußen hörte man das Klingeln der Straßenbahn.
    »Du hast gewonnen«, sagte Freya. Ihre Geduld mit diesem verstockten kleinen Mädchen war zu Ende, und beim Gedanken, dass sie so lange ausgehalten hatte, wurde sie zornig. »Du willst deinem Freund Raphael nicht helfen, okay, von mir aus, vielleicht ist es dir gleich, was mit ihm passiert, mir ist es nicht gleich. Raphael ist sehr traurig, weil sein Großvater gestorben ist, und ich hab Angst, dass er sich was antut, begreifst du das, Sunny? Weißt du, was ich meine?«
    Das hatte sie schon heute Vormittag zu ihr gesagt und vor einer Stunde noch einmal. Und die Kleine schaute sie an, selbstbewusst und stolz, zupfte an ihrem weißen Kleidchen, das so schlicht und elegant war wie das Kleid einer Frau, und sagte keinen Ton.
    »Ist dir gleich, was mit ihm passiert, Sunny?«, fragte Freya und überlegte, wie sie in Sunnys Lage reagieren würde. Welchen Grund hatte das Mädchen, Raphael in Schutz zu nehmen? War sie in ihn verliebt? Mit zehn Jahren? Freya hielt es für möglich. »Bist du in Raphael verliebt?«, fragte sie, und Sunny wurde rot. »Echt? Das find ich schön. Dann kann ich verstehen, dass du mir nichts verraten willst, würd ich auch nicht machen, wenn ich du wär, den Jungen, in den man verliebt ist, den verrät man nicht, das ist klar, schon gar nicht an die Polizei.«
    Sunny wich ihrem Blick aus, und sie hörten ein Knarzen draußen im Flur.
    »Hör mal, Sunny, ich find’s gut, dass du zu ihm hältst, aber vielleicht geht’s ihm wirklich nicht gut, und seine Eltern machen sich große Sorgen um ihn …«
    »Die doch nicht!«, sagte Sunny, kletterte vom Bett und ließ sich in den aufblasbaren Plastikstuhl neben der Kompaktstereoanlage plumpsen.
    »Hat Raphael oft Streit mit seinen Eltern?«
    »Dauernd, die sind total blöd, ich mag die nicht.«
    »Aber seinen Opa hat er doch gemocht.«
    »Den schon.«
    Jemand klopfte, und Freya machte die Tür einen Spalt breit auf. Florian stand draußen. »Sofort«, sagte sie, blinzelte ihm zu und schloss die Tür.
    »Er hat seinem Opa ja auch diesen Brief geschrieben, von dem ich dir erzählt hab.«
    »Hat er nicht.«
    »Was?«
    Sunny spielte mit ihren nackten Zehen und schlug die Fußballen gegeneinander.
    »Was meinst du damit: hat er nicht, Sunny?«
    »Er hat den Brief gar nicht geschrieben.«
    »Wieso denn nicht?«
    »Weil ich ihn geschrieben hab.«
    Freya ging zum Stuhl, in dem Sunny sich fläzte, und kniete sich neben sie. »Du hast den Brief geschrieben? Wieso hat den der Raphael nicht selber geschrieben?«
    »Das ist doch klar, weil er es nicht gekonnt hat, deswegen!«
    »Aber … aber er geht doch in die dritte Klasse, genau wie du, da muss er doch schreiben können.«
    »Er kann ja schreiben, aber als sein Opa gestorben ist, hat er es vergessen. Ich hab den Brief geschrieben, so, jetzt weißt du’s …«
    Sie sprang auf und lief zur Tür.
    »Warte, Sunny, ich möcht noch wissen, wo du den Brief geschrieben hast

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