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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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gesagt, ich soll seinem Vater sagen, er kommt nicht mehr, geht weg, geht Opa suchen, aber …« Sie starrte Weber an, und er bemerkte winzige braune Punkte auf ihrer Pupille. »Opa ist doch gestorben, ist doch tot …«
    »Was hat er noch gesagt?«
    »Sonst nichts, ich schwöre, ich sage, wo bist du, was passiert, aber er schon weg.« Sie machte eine Handbewegung, als würde sie einen Telefonhörer auflegen.
    »Und er hat nicht gesagt, dass er seinen Vater sprechen will?«
    Sie schüttelte wieder den Kopf, blickte zu Boden, schüttelte den Kopf, verkrampfte sich noch mehr.
    »Warum haben Sie uns angelogen, Eva?«
    Ihr Kopf schnellte in die Höhe, und sie schaute wieder, wie in Panik, zur Tür. Dort stand Andy Krust mit seinem Schreibblock und machte sich Notizen.
    »Thomas oft wütend, und dann schlägt. Ich hab gesagt, was sein Sohn gesagt hat zu mir, so wie zu Ihnen jetzt, und er sagt, ich soll nicht sagen zu Ihnen …«
    »Sie sollen mir nicht sagen, dass sein Sohn ihn nicht sprechen wollte, weil das ein schlechtes Licht auf ihn wirft«, sagte Weber und warf Krust, der ihm zunickte, einen Blick zu.
    »Was für Licht?«, fragte Eva.
    »Danke, Eva«, sagte Weber und stand auf. Sein Rücken tat ihm weh, und sein Magen war ein riesiger Krater. »Sie sind Tänzerin? Schöner Beruf. Und Sie tanzen im
Capitol?
«
    Eva nickte, und Weber war klar, dass sie zwar tanzte, aber dass das nicht der Sinn der Übung war; sie zog sich dabei aus und verschwand hinterher mit einem Kunden im Séparée, wie alle Mädchen, die im
Capitol
arbeiteten.
    »Haben Sie eine Aufenthaltsgenehmigung?« Diese Bemerkung überraschte Eva ebenso wie Krust, der sich schon die ganze Zeit gefragt hatte, wieso sie die Frau nicht einfach mitnahmen und im Dezernat zu einer korrekten Aussage zwangen; garantiert war sie illegal in Deutschland und würde alles tun, um nicht ausgewiesen zu werden.
    »Ich verheiratet«, sagte sie und schaute zu Weber hinauf, der sich die Nase rieb, weil ihm vom Krautgeruch schon schwindlig wurde. »Aber getrennt, jetzt bin ich hier, mein Mann böse, besser hier …«
    »Und jetzt passt Thomas Vogel auf Sie auf?«, sagte Weber.
    Sie nickte.
    Als sie das Haus in der Landwehrstraße verließen und zu ihrem weißen Golf gingen, den sie vor einem türkischen Supermarkt geparkt hatten, riss die Wolkenwand auf und gab einen mattblauen Himmel frei. Weber blieb stehen und schaute hinauf, so lange, bis sein Kollege die Hand nicht mehr von der Hupe nahm.
     
    Seit zehn Minuten schwiegen sie sich an, und es war offensichtlich, dass das zehnjährige Mädchen mit dem Haarpinsel auf dem blonden Schopf Erfahrung im Mundhalten-Wettkampf hatte. Sie saß auf ihrem Bett, über dem ein Poster der Backstreet Boys an der Wand klebte, und schaute regungslos drein. Und Freya Epp schaute regungslos zurück. Sie saß auf dem Boden, an den Schrank gelehnt, die Beine angewinkelt, und genoss die Stille. Das hohe Zimmer war von einer Halogenlampe hell erleuchtet, die Möbel waren aus unbehandeltem Fichtenholz, der Parkettboden glänzte. Sunnys Eltern lebten in einer Hundertvierzig-Quadratmeter-Altbauwohnung mit wenig Möbeln und vielen Pflanzen und Blumen. Im langen Flur prangte auf einem antiken Schemel ein Telefonapparat aus den dreißiger Jahren. Als Garderobe fungierte eine Chromleiste mit Haken, die über die halbe Wand reichte; darunter standen auf einem grünen Streifen, der aussah wie ein Stück Wiese, die Schuhe, ungefähr vierzig Paar in unterschiedlichsten Größen und Formen. Die zentralen Gegenstände des Wohnzimmers waren ein Breitwandfernseher und eine Ledercouch. Über dem Durchgang zur Küche hing ein Basketballkorb, was Florian Nolte, der dreiunddreißigjährige Oberkommissar, der seit einer halben Stunde auf die Rückkehr seiner Kollegin aus dem Kinderzimmer wartete, als echte Provokation für all jene empfand, die in normalen Wohnungen hausten. In der Küche, deren Kochstelle samt Rauchabzug sich in der Mitte des Raumes befand, hing ein gerahmtes Poster: »Nighthawks« von Edward Hopper.
    Zu dritt saßen sie im Wohnzimmer an einem dunklen Holztisch, der aus England stammte, wie Sebastian Heus ungefragt erklärt hatte, und tranken Mineralwasser. Jasmin Heus, Sunnys Mutter, hatte ein Glas Rotwein vor sich stehen, aus dem sie nicht mehr trank, seit aus dem Kinderzimmer kein Laut mehr zu hören war.
    »Sie kann ganz schön rigoros sein«, sagte sie, und ihr Mann Sebastian, der Schauspieler aus der Serie »Nachtfalken«, zündete sich ein

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