Die Erfindung des Abschieds /
zwingen konnte man ihn deswegen zu nichts; Weber durfte ihn nicht einmal gegen seinen Willen aufs Revier mitnehmen, um das Gespräch dort, mit der Unterstützung seiner Kollegen, fortzusetzen.
»Ich wär Ihnen dankbar, wenn Sie uns das Gespräch führen ließen«, sagte Weber, und seine Ohren schienen an seinem Kopf zu lodern, so rot waren sie; er wusste das, und er fühlte sich unwohl, aber er konnte es nicht ändern, es war ein Defekt in seinem Organismus, der seiner Frau ein Leben lang ein Lächeln entlockt hatte.
Krust setzte an, etwas zu sagen, aber Weber kam ihm mit einem Räuspern zuvor. Der junge Polizist verstand, dass er besser den Mund hielt, weil er vermutlich der Falsche dafür war, um Vogel umzustimmen.
»Es dauert nur eine Minute, das ist reine Routine. Es geht nicht um Wahrheit oder Lüge, wir wollen einfach viele Fakten sammeln, und wir sprechen mit den Leuten immer lieber einzeln, das wissen Sie doch als ehemaliger Kollege von uns.«
Vogel sah ihn an, dann grinste er, klopfte Eva auf die Schulter und erhob sich. Zog seine enge Anzughose hoch und schaute auf die beiden Polizisten hinunter. »Eine Minute, kapiert! Und dann möcht ich, dass Sie ins Präsidium fahren, um meinen Jungen zu finden, und zwar heute noch.«
»Ich hab Ihnen gesagt, es gibt bereits eine Sonderkommission, und unser Hubschrauber ist auch im Einsatz, wir tun alles, was wir können, Herr Vogel. Und ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sich zu einer Zusammenarbeit mit uns entschlossen haben.«
Was sein Kollege da sagte, hielt Andy Krust für blankes Gesumse, um Thomas Vogel einzulullen. Doch Krust, der erst zum zweiten Mal in einer Sonderkommission dabei war und ansonsten im Kommissariat 112, Todesermittlung, Dienst tat, täuschte sich. So sehr Weber mit dem Schicksal haderte und oftmals seinen Gott verfluchte, weil er ihm die Frau zu früh weggenommen hatte, so wenig Argwohn hegte er gegenüber den Menschen; nicht dass er sie allesamt für gut oder zumindest für belehrbar hielt, er verspürte nur kein Verlangen, sich über sie zu erheben und ihnen jedes Wort anzukreiden, das ihm persönlich missfiel und das er selbst so nie ausgesprochen hätte; er war froh darüber, wenn der andere ihm half, seinen Fall voranzubringen, und er bemühte sich, Argumente zu finden, die sein Gegenüber davon überzeugten, dass er, der Polizist Weber, die Dinge nur zu ordnen und zu klären versuchte, nichts weiter; er war nicht Polizist geworden, um Richter zu spielen, er war Polizist geworden, weil ihm als Kind die grüne Uniform so gut gefiel und jedes Jahr im Fasching seine Mutter zu ihm sagte, wie erwachsen er darin aussehe und wie hübsch. Später, als er gerade Schutzpolizist geworden war und aus Unzufriedenheit mit der monotonen Arbeit den Dienst quittieren wollte, um einen anderen, spannenderen Beruf auszuprobieren, fragte ihn eine junge Frau auf der Straße nach dem Weg, und er wusste sofort: Das war die Stimme der Liebe. Er blieb bei seinem Beruf, und nachdem er in den gehobenen Dienst gewechselt war und keine Uniform mehr hatte tragen müssen, sprach seine Frau Elfriede noch oft davon, wie schmuck er damals in seiner Uniform ausgesehen habe und dass das für sie der einzige Grund gewesen sei, weshalb sie ihn überhaupt angesprochen hatte, die Frage nach dem Weg sei bloß ein Vorwand gewesen. Wahrscheinlich war Paul Weber der einzige Kripobeamte Deutschlands, der seine Existenz als Hauptkommissar der Stimme der Liebe verdankte.
»Bitte leise«, flüsterte Eva, nachdem Vogel hinausgegangen war und Andy Krust die Tür hinter ihm geschlossen hatte.
»Bitte, Eva, sagen Sie mir jetzt genau, was Raphael Ihnen am Telefon gesagt hat. Das ist sehr wichtig, er ist ein kleiner Junge, und vielleicht tut er sich was Schlimmes an …«
»Was Schlimmes?« Ängstlich blickte sie zur Tür. Weber rückte seinen Stuhl näher zum Sofa und lächelte. Krust blieb an der Tür stehen.
»Ja, was Schlimmes«, sagte Weber.
»Hat gesagt, er kommt nicht mehr …« flüsterte Eva, hielt inne, presste die übereinander geschlagenen Beine fest zusammen und stützte sich auf dem Sofa ab, als wollte sie sich in die Höhe stemmen.
»Er hat also nicht gesagt, er will seinen Vater sprechen?«, fragte Weber und senkte seine Stimme ebenfalls.
Eva schüttelte den Kopf.
»Sie haben nicht zu Thomas Vogel gesagt, als Sie ihn bei seiner Frau in Pasing angerufen haben, dass Raphael ihn sprechen wollte.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Was genau hat Raphael gesagt?«
»Hat
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